Zertifikat für Sex ohne Gummi empört Aids-Hilfe
Noten für Nutten

Im Kampf um Freier verzichten Prostituierte immer öfter auf Kondome – selbst ernannte Bordelltester finden das prima.
Publiziert: 30.01.2010 um 22:32 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 18:20 Uhr

Im Sexgewerbe geht es immer härter zur Sache. Noch nie schafften in der Schweiz so viele Frauen an wie heute. Allein in Bern stieg die Zahl der gemeldeten Prostituierten vergangenes Jahr um zehn Prozent. Alexander Ott, Leiter der Stadtberner Fremdenpolizei: «Das Angebot übersteigt die Nachfrage deutlich. Die Frauen geraten immer mehr unter Druck.»

Seit kurzem touren nun sogenannte Bordelltester durch die Sexetablissements der Rotlichtbezirke. Ihre Bewertungen publizieren sie auf einschlägigen Websites. «Eine Orientierungshilfe im Bordell-Dschungel», nennt es der selbst ernannte Cheftester Peter Kalt* im Gespräch mit SonntagsBlick. Der 42-jährige Familienvater ist verheiratet und arbeitet im Kader des Finanzdepartements der Stadt Zürich.

Dreimal pro Woche gehe er auf Sex-Tour – auf eigene Rechnung, wie er betont. Und anonym, denn weder seine Familie noch sein Arbeitgeber wüssten von seinem Hobby: «Wenn ich auffliege, bin ich meine Familie und den Job los.»

Kalt ist nicht der Einzige, rund 90 Bordelltester seien schweizweit unterwegs: «Der Grossteil ist verheiratet und beruflich sehr gut gestellt: Beamte, Akademiker und Banker», sagt er. Sie bewerten die Dienstleistungen der Prostituierten und stellen ihnen selbst entworfene Qualitätszertifikate aus. Je besser der Service, desto höher die Note – ohne Rücksicht auf Verluste. So gibt es Zusatzpunkte für Oralsex ohne Gummi.

Diese «Dienstleistung» werde von Freiern einfach erwartet – trotz des Risikos, sich mit Aids zu infizieren, trotz jahrelanger Kampagnen für Safer Sex. Für «Obertester» Kalt kein Problem: «Wir setzen die Frauen nie unter Druck.» Und Oralsex ohne Gummi findet er völlig problemlos.

«Diese Männer werden doch von den Clubs dafür bezahlt, dass sie deren Prostituierte gut benoten und jene der Konkurrenz schlecht wegkommen», meint zwar ein Szenekenner. Doch fürs Geschäft der Frauen selbst sind Testberichte und Zertifikate so oder so nützlich. Svetlana (30), seit Jahren in der Schweiz im Geschäft, bewahrt das Papier mit Stolz im Portemonnaie auf und zeigt es gerne vor. Es verschaffe ihr einen Konkurrenzvorteil: «Seit ich es habe und mit Namen auf einem Sexportal erwähnt bin, fragen viel mehr Männer nach mir», sagt die Russin mit den langen blonden Haaren zu SonntagsBlick.

Ihre Arbeitskolleginnen seien neidisch. Und Sex ohne Gummi hat sie auch im Angebot. «Das verlangen die Freier eben», sagt die Mutter einer dreijährigen Tochter.

Marlen Rusch (42) von der Aids-Hilfe Schweiz ist entsetzt. «Solche Zertifikate sind völlig unverantwortlich und setzen die Frauen mit Sicherheit unter Druck» (siehe Interview). Entsetzt ist auch die internationale Qualitätssicherungsorganisation ISO.

Sie setzt Normen für Unternehmen, Verwaltungen und Produkte und steht für Qualitätslabels nach strengen Normen – mit dem Nuttenlabel der Bordelltester hat sie aber nichts zu tun. «Wir werden rechtliche Schritte gegen den Missbrauch einleiten», sagt ISO-Sprecher Roger Frost. Bordelltester Kalt will darum sein Papier künftig ISU-Zertifikat nennen.

* Name der Redaktion bekannt

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