Mit verschränkten Armen steht Franziska Rölli (25) an Deck. Unter ihr knarzen Taue, die die «Stadt Luzern» am Kai halten. Rölli schiebt eine Plastikplane zur Seite und betritt den «Heck Salon». «Das ist mein Lieblingsraum», sagt die Schreinerin und streicht lächelnd über ein gerundetes Stück Holz, das auf einem Arbeitstisch liegt. «Die Wandtäfelung ist aus Nussbaum, und die schwarzen Streifen dazwischen sind nicht einfach angemalt, das ist echtes Ebenholz.» Im Innern des Schiffs, wo die Hafengeräusche vom Hämmern aus dem Maschinenraum übertönt werden, riecht es nach Holzlack und Motoröl.
Die «Stadt Luzern» ist das Flaggschiff der fünfköpfigen Dampferflotte auf dem Vierwaldstättersee. Seit fast zwei Jahren wird sie für 13,5 Millionen Franken renoviert – es ist die grösste Revision, seit das Schiff 1928 vom Stapel lief. Derzeit ist der stolze Dampfer eine einzige Baustelle. Leider auch im übertragenen Sinne.
Renovation in stürmischen Zeiten
Die Schifffahrt auf dem Vierwaldstättersee steht wohl vor einer der grössten Herausforderungen ihrer Geschichte. 50 Prozent weniger Passagiere gingen dieses Jahr an Bord. Derzeit wird mit reduziertem Fahrplan operiert. Der Ertragseinbruch wird bis Ende 2020 auf 15 Millionen Franken geschätzt. Die Schifffahrtsgesellschaft musste Mitarbeiter entlassen, sowohl in den eigenen Reihen als auch bei der zugehörigen Tavolago AG, die für die Gastronomie auf den Schiffen zuständig ist.
Anderen geht es noch schlechter. Zum Beispiel der Schifffahrtsgesellschaft auf dem Bielersee (BSG): 60 Prozent weniger Gäste und reduzierter Herbstfahrplan einen Monat früher als üblich geplant. Prognose für das Jahresergebnis: ein Minus von bis zu 800'000 Franken. Auf dem Zürichsee werden ebenfalls 60 Prozent weniger Passagiere und ein Umsatzeinbruch von über 70 Prozent verzeichnet. Die Schweizerische Bodensee-Schifffahrtsgesellschaft (SBS) strich ab Anfang September alle Fahrten ausser einer nach Deutschland, stellte Saisonmitarbeiter frei und baute sechs Stellen ab.
Obwohl die Schiffe seit dem 6. Juni wieder fahren dürfen, schreckt die Maskenpflicht Passagiere ab. Das wird sich wohl nicht so rasch wieder ändern. Die Zeichen stehen auf Sturm.
Noch befindet sich die «Stadt Luzern» in ruhigen Gewässern. Nach eineinhalb Jahren in der Halle liegt der 415 Tonnen schwere Raddampfer nun am Kai am Werftsteg in Luzern. Hier können die Schaufelräder montiert und gewisse Systemtests durchgeführt werden, die an Land nicht möglich waren. Erlebt hat der alte Kahn schon einiges. Rund eine Million Kilometer, Fahrten mit der englischen Queen Elizabeth II. oder mit Udo Jürgens am Steuer.
Originaltreue versus Erneuerung
Franziska Rölli schaltet die Kreissäge aus und nimmt die Stöpsel aus den Ohren. Den Pulli, den sie anfangs trug, hat sie ausgezogen. Draussen drückt die Sonne langsam, aber sicher durch die Schleierwolken am Himmel. «Am liebsten arbeite ich im Winter hier», sagt sie. «Manchmal bin ich dann einen ganzen Morgen lang allein auf dem Schiff.» Rölli ist seit zwei Jahren als Schreinerin auf der Werft und macht aktuell eine Weiterbildung im Bereich Denkmalpflege. Was sie am Schiffbau am meisten fasziniert, ist die Zusammenarbeit der verschiedenen Handwerkszweige: «Schreinerinnen, Schlosserinnen, Maschinistinnen – alle sind aufeinander angewiesen und arbeiten im selben Betrieb. Das ist sonst auf dem Bau nie so, bei uns ist es Standard.»
Die Herausforderung bei der Renovierung der «Stadt Luzern», die nach den Arbeiten unter Denkmalschutz gestellt werden soll, sei der Kompromiss zwischen originalgetreuer Erhaltung und Modernisierung des Schiffs. Rölli nickt in Richtung der Steckdosen im «Salon Oberdeck»: «Früher gab es hier keine elektrischen Anschlüsse, jetzt will der Auftraggeber, dass man an jedem Tisch ein Racletteöfeli anschliessen kann. Wir haben uns gefragt: Wie machen wir das, dass sie nicht sofort ins Auge springen? Die Steckdosen, die jetzt da sind, sind Spezialanfertigungen, extra klein und braun.»
Ebenfalls schwierig waren die beiden Türen an der Hinterwand desselben Salons: «Die mussten wir nach aussen rücken, damit ein Buffet in die Mitte passt.» Rölli deutet auf das Senkfenster hinter dem Buffet: «Und hier können neu Glaces hinaus aufs Deck verkauft werden.»
Die Innenausstattung der «Stadt Luzern» ist eines ihrer wichtigsten Merkmale, denn die Art-déco-Elemente, die an einen Ozeandampfer erinnern, sind innerhalb der Flotte einzigartig. Sogar im Zweite-Klasse-Salon wurden aufwendige Holzschnitzereien in Form von schwimmenden Fischen eingearbeitet. Bei der Renovation von Holzelementen wird, wenn möglich, darauf geachtet, dass Holz derselben Art und aus derselben Region verwendet wird. Allerdings nicht bei der Wandverkleidung aus Burma, wie Rölli schmunzelnd bemerkt: «Die verbleibenden burmesischen Wälder sind heutzutage zum Glück geschützt.»
Schifffahrt war auf dem Vierwaldstättersee schon immer wichtig. Zuerst als Verkehrsmittel, dann im 19. Jahrhundert für den aufkommenden Tourismus. 1837 wurde das erste Dampfschiff eingeweiht. Die Vorgängerin der SGV, die Vereinigte Dampfschiffgesellschaft des Vierwaldstättersees (VDGV), wurde 1869 gegründet und besass zehn Dampfschiffe. Von 1887 bis 1928 wurden für touristische Erlebnisfahrten sieben weitere Schiffe gebaut. Das letzte davon: die sich jetzt in Renovation befindende «Stadt Luzern». Beinahe hätte die Moderne die Flotte versenkt. In den 1970er-Jahren sollten die Dampfer ausgemustert werden, doch der Widerstand der Luzerner Dampfschifffreunde führte dazu, dass fünf Schiffe, «Uri», «Unterwalden», «Schiller», «Gallia» und «Stadt Luzern», erhalten blieben.
Kuriose Funde unter Deck
Auf dem Dach des Dampfers blendet das gleissende Sonnenlicht. Eine Möwe schaut auf Reto Bucher (46) herab, der mit Schutzbrille und Kittpistole eine Stelle abdichtet, um einen Wassereinbruch zu beheben: «Den haben wir entdeckt, als wir da gewässert haben, um zu schauen, ob alles dicht ist.» Seit sechs Jahren arbeitet Bucher als Schlosser und Metallbauer bei der Shiptec. Die Faszination für Dampfschiffe, gesteht er, kam erst, nachdem er dort angefangen hatte. «Vorher war ich nicht so ein Schiffgänger. Aber die Arbeit hier ist einzigartig, so was macht sonst niemand.»
In der Schiffsküche unter Deck erzählt Bucher von der grössten Überraschung beim Umbau: «Hier haben wir den Boden herausgenommen, um die Schale des Schiffs zu prüfen, und sind dabei auf Aludosen aus den Achtzigern gestossen.» Mit einem Augenzwinkern fügt er hinzu: «Der Thunfisch war noch gut.»
Auch im Kesselhaus hat Bucher Hand angelegt. Hier befindet sich der neue Dampfkessel mit fast 20'000 Litern Fassungsvermögen. Um ihn einbauen zu können, musste die Decke aufgeschnitten und entfernt werden. Ein heikles Unterfangen: «Vor allem die Teile so rauszunehmen, dass sie nachher wieder reinpassen, war schwierig. Es hat aber gut geklappt, wir alle haben einen super Job gemacht.»
Zeitlich sind die Renovierungsarbeiten auf Kurs. Momentan werden im «Queens Salon», wo vor 40 Jahren Elizabeth II. gespeist hat, zwar noch ockerfarbene Rohre aus dem Maschinenraum gelagert. Doch schon im November wird der Teppich verlegt, und danach kommen die neu angefertigten Möbel hinein. Die sind ein Mittelding zwischen Erhaltung und Umgestaltung, denn sie sind zwar neu, aber trotzdem authentischer als ihre Vorgänger. «Sie werden mithilfe alter Fotos rekonstruiert», erklärt Rölli. «Vorher war das Mobiliar wild zusammengewürfelt, nichts war im originalen Zustand.»
Für die Einweihung der «Stadt Luzern» im Frühling 2021 ist noch kein Event geplant. Man kann nur hoffen, dass die «Stadt Luzern» nicht wieder so still eingewassert werden muss wie 1929, als sie, aufgrund von Schwierigkeiten mit der Dampfmaschine, erst ein Jahr später als geplant in Dienst genommen wurde.