Der Luzerner Polizeikommandant Adi Achermann (53) und Kripo-Chef Daniel Bussmann (58) stehen heute wegen fahrlässiger Tötung vor dem Kantonsgericht. Die beiden sollen am Suizid von Ursula R. (†65) schuld sein. Die psychisch kranke Frau hat sich mit einem Revolver erschossen, als die Polizei am 9. März 2016 ihre Wohnung in Malters LU wegen einer Hanf-Indooranlage stürmte.
Die Drogen gehörten ihrem Sohn Daniel O. (48), der zu dieser Zeit in U-Haft sass. Pikant: Ursula R. verhandelte zuvor mit der Polizei am Telefon. Sie drohte dabei mehrmals mit Suizid – explizit bei einem Zugriff! Trotzdem fand die Razzia statt. Achermann droht eine bedingte Geldstrafe von maximal 50’400 Franken, Bussmann eine von 67’200 Franken.
Staatsanwalt listet Polizei-Fehler auf
Staatsanwalt Christoph Rüedi zeigte heute Morgen, wie sehr die Polizei die Razzia aus seiner Sicht vergeigte. Der eigentliche Plan der Beamten: Ursula R. ans Telefon binden, ein Ablenkungs-Feuerwerk zünden, die Haustür aufbrechen und einen Polizeihund loslassen, der die angeschlagene Frau überwältigt.
«Tatsächlich passierten erhebliche Pannen», sagt Staatsanwalt Rüedi vor Gericht. Er stellt klar: «Die Türe öffnete sich zu früh.» Als die Polizei ihre hydraulische Presse zum Aufbrechen installierte, sprang das Schloss auf. Ein Missgeschick mit dramatischen Folgen: Frau R. erschrickt, geht ins Badezimmer, erschiesst ihre Katze und dann sich selbst.
Zudem verhedderte sich der Polizeihund, der Ursula R. eigentlich hätte neutralisieren sollen, in den Kabeln der hydraulischen Presse.
Für die Staatsanwaltschaft wiegt ebenso schwer, dass die Angeklagten Achermann und Bussmann die Warnung ihres Polizeipsychologen ignorierten. «Dieser empfahl mit dem Zugriff zu warten», so Rüedi. «Mit der Hoffnung, dass Frau R. irgendwann in einen Erschöpfungszustand kommt.»
Heute arbeitet der Psychologe nicht mehr bei der Luzerner Polizei. «Er hat gekündigt», sagt der angeklagte Kripo-Chef Daniel Bussmann zum Richter.
Kripo-Chef: «Frau hätte jemanden töten können»
Selbstbewusst weist Bussmann die Schuld von sich. Sein Hauptargument: «Dritte waren gefährdet.» Er betont: «Frau R. hätte mit einem Schuss in die Luft jemanden auf 1000 Meter Entfernung töten können.» Und weiter: «Das Projektil ihres Revolvers war dafür gross genug.»
Für die Staatsanwaltschaft ist dieses Argument haltlos. Frau R. schoss bereits Stunden zuvor zwei Mal mit ihrem Revolver in die Luft sowie die Wohnungswand. «Es kam dennoch nicht zu einem sofortigen Zugriff», so Rüedi.
Kritik am Polizei-Einsatz kam auch von Oskar Gysler. Der Anwalt des Sohnes von Ursula R. sagte: «Ein Gespräch zwischen der Verstorbenen und ihrem Sohn wäre möglich gewesen.» Es steht nun die Frage im Raum: Wäre der Suizid durch den Kontakt vermeidbar gewesen?
Ursula R.: «Ich erschiesse niemanden»
Dazu spielte Gysler pikante Gerprächsmittschnitte zwischen der Polizei und der Mutter vor:
«Ich will doch niemanden verletzten, ich erschiesse doch niemanden. Wenn schon, dann jage ich mir eine Kugel hinein. Wenn man mich in Ruhe lässt, dann mache ich niemandem etwas. Darauf haben sie mein Wort. Ok?»
«Ich brauche Zeit, weil ich mir nochmals alles durch den Kopf gehen lassen muss. Ich bin nie ein Mensch gewesen, der einfach kopflos etwas macht. He ich habe ihnen gesagt, geben sie mir bis morgen Zeit. Ich warne Sie. Ich will Zeit bis morgen.»
Rechtsanwalt Gysler dazu: «Man hätte andere Optionen abklären sollen. Ein Versuch wäre es Wert gewesen, bevor man das Leben einer Person aufs Spiel setzt.»
Kommandant wusste Bescheid
Für die Anklage ist klar, dass Kripo-Chef Daniel Bussmann (58) die Hauptverantwortung für die missglückte Razzia trägt. Sein Verteidiger Beat Hess bestreitet die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft: «Mein Mandant prüfte sehr wohl andere Szenarien», sagt der Rechtsanwalt vor Gericht. In seinem Plädoyer wird klar: Bussmann entschied sich bewusst gegen die Option «zurückziehen und zuwarten». Mit der Begründung, dass Ursula R. keine Anstalten machte, ihre Wohnung zu verlassen.
Ebenso wollte er keinen Helikopter, der Einsatzkräfte auf dem Dach absetzt. Vermutlich wäre Ursula R. wegen des Lärms aufgeschreckt. Aus Angst entdeckt zu werden, lehnte Bussmann auch einen langsamen Zugriff ab.
Verteidiger gibt den Schwarzen Peter weiter nach Zürich
Verteidiger Hess betont zudem, dass Daniel O., der Sohn der Verstorbenen, aus gutem Grund nicht beigezogen wurde. Dieser befand sich wegen Drogendelikten in Zürich in U-Haft. «Die Kollegen rieten meinem Mandanten davon ab», so Hess. «O. unternahm am Vorabend einen Fluchtversuch.» Ein Kontakt hätte nicht zwingend die Aufgabe von Ursula R. bewirkt. Laut Hess rechneten die Zürcher Polizisten sogar mit dem Gegenteil.
Der Verteidiger räumte dennoch ein, dass der Einsatz scheiterte: «Nachträglich wissen wir warum. Weil die Tür sich zu früh öffnete.» Damit sei nicht zu rechnen gewesen. Laut Verteidigung ist auch unklar, ob sich Ursula R. nicht schon kurz vor dem Zugriff erschoss. Hess stellt klar: «Die Polizei hatte an diesem Mittag keine Möglichkeit ausser die Intervention.» Und: «Seitens meines Mandanten liegt keine Pflichtverletzung vor.»
Polizei-Kommandant gab sein Okay
Die Befragung vor Gericht zeigt: Kommandant Adi Achermann wusste von den Zugriffs-Plänen. Er hiess diese sogar explizit gut. «Ich wurde nach der Entschlussfassung informiert», sagt er. «Ich finde den Entscheid richtig.»
Wichtig sei für ihn gewesen, dass die Varianten geprüft worden seien: «Sonst hätte ich mein Einverständnis nicht gegeben.» Er sei davon ausgegangen, dass die Verhandlungen in einer Endlosschleife feststeckten.
Sohn will 54'389 Franken
Ursula R.s Sohn Daniel O. (48) fordert als Privatkläger eine Genugtuung von 54’389 Franken. Grund: Der Grossdealer sieht sich als Opfer. Selbst war er nicht an der Verhandlung. Sein Anwalt Oskar Gysler sagte schon früher zu BLICK: «Mein Mandant wird psychiatrisch betreut.» Und: «Er kommt nicht über den Tod seiner Mutter hinweg.»
+++ Update folgt...