«Einmal schaute meine Schwester Berta in der Schule nach hinten. Schwester Ursula nahm ihren Kopf und schlug ihn auf die Bank, bis es meiner Schwester schlecht wurde.» Zwei Wochen später stirbt das Mädchen – «unter qualvollen Schmerzen», wie das jetzt erst entdeckte Tagebuch eines ehemaligen Heimkindes festhält.
Die Erinnerungen der Frau aus Luzern an ihre Kindheit im katholischen Heim Rathausen schockieren. Das auszugsweise von der «Zentralschweiz am Sonntag» veröffentlichte Tagebuch zeigt in aller Grausamkeit, wie die Ordensschwestern aus dem Kloster Ingenbohl die ihnen in Rathausen anvertrauten Heimkinder buchstäblich zu Tode quälten.
Einen Buben die Treppe hinuntergeworfen
Das Drama, das sich in den 1930er-Jahren zugetragen haben muss, wurde nie aufgeklärt. Die Tagebuch-Schreiberin hält fest, wie die Oberin sie damals in den schuleigenen Kerker warf, bis sie versprach, Schwester Ursula nicht anzuschwärzen. Nach dem Tod von Berta erklärte die Heimleiterin, dass das Mädchen von der Schaukel gefallen sei.
Es war aber offenbar nicht das einzige Tötungsdelikt der Nonnen aus dem Kloster oberhalb von Brunnen SZ: Dieselbe Schwester Ursula hat ein halbes Jahr später den kleinen Paul eine Treppe hinuntergeworfen, heissts im Tagebuch. «Der war so unglücklich gefallen, dass er sofort tot war.» Auch diese Misshandlung wurde damals vertuscht.
Orden will alles ans Tageslicht bringen
Auch wenn die Ereignisse lange zurückliegen: Marie-Marthe, die jetzige Provinzoberin der Ingenbohler Schwestern, zeigte sich erschüttert über die Tagebuch-Aufzeichnungen. Sie entschuldigt sich in der «Zentralschweiz am Sonntag» in aller Form für die Taten ihrer Vorgängerinnen und bittet um Verzeihung.
Der Orden bemühen sich schon länger, die Geschehnisse in Rathausen lückenlos aufzuarbeiten. Die Ingenbohlerinnen waren von 1880 bis 1972 im Auftrag des Kantons für das Kinderheim zuständig. Auch heute noch betreuen die rund 3900 Schwestern auf der ganzen Welt kranke und verwaiste Schwestern. (bih)