So erleben die schwerbehinderten Bewohner des Wohnhauses Titlis die Corona-Quarantäne
Lachen im Lockdown

Maskenpflicht, Fiebermessen, Besuchsverbot: Das Coronavirus schränkt den Alltag im Behindertenheim in Emmen LU enorm ein. Die gute Stimmung vergeht den Bewohnern dennoch nicht.
Publiziert: 10.05.2020 um 22:53 Uhr
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Aktualisiert: 11.05.2020 um 13:21 Uhr
Lachen im Lockdown
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Lachen im Lockdown:Lachen im Lockdown
Helena Schmid (Text), Philippe Rossier (Fotos)

Mit jedem Ausatmen sammeln sich winzige Tröpfen auf meiner Haut. Sie lassen den dünnen Stoff der Maske an meiner Nase und den Lippen festkleben. «Hände desinfizieren», befiehlt mir Manuela Schlecht (54). Habe ich bereits – vor 30 Sekunden. «Sie sollten noch einmal, weil Sie sich ins Gesicht gefasst haben», sagt sie, während sie mit flinken Händen meinen hellblauen Kittel zubindet. Ich gehorche.

Das Wohnhaus Titlis der Stiftung für Schwerbehinderte Luzern (SSBL) in Emmen LU erinnert an einen Operationssaal: Zutritt nur für Befugte! In Schutzkleidung, steril. Als BLICK-Reporterin bin ich die erste Aussenstehende, die das Gebäude seit Beginn des Lockdowns betreten darf.

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Bewohner Werner und Esther sind ein Paar. Ihre Angehörigen dürfen sie nicht sehen. «Wir haben aber einander», sagt Werner.
Foto: Philippe Rossier

«Sie würden sich die Masken vom Gesicht reissen»

Besuche waren hier fast zwei Monate lang absolut verboten. Die Massnahme gilt dem Schutz der Bewohner. Ebenso mein Kittel und meine Maske. «Hast du einen Rock an?», fragt Esther (46), als ich in ihr Wohnhaus trete. Ich deute auf mein schwarzes Hosenbein, das unter der Schürze hervorlugt. Sie lacht und sagt: «Komisch.»

Wie ihre acht Mitbewohner hat Esther eine geistige Behinderung. Sie trägt einen grauen Pullover mit Pailletten, dazu grüne Hosen. Keine Maske. Kein Kittel. «Wir können den Bewohnern keine Schutzmasken anziehen. Die meisten würden sie sofort wegreissen oder sie würden sie zumindest anfassen oder verschieben – was den Zweck dieser Hygienemassnahme nicht erfüllen würde», erklärt Manuela Schlecht, Leiterin Wohnen und Arbeit.

Esther nimmt am Ende eines länglichen Holztischs im Wohnzimmer Platz. Gegenüber sitzt ihr Freund Werner (52). Dazwischen zwei Meter Holz. Die Abstandsregel kennen sie genau. «Die Hygienemassnahme haben wir den Bewohnern mit passender Bildsprache erklärt. Sie halten sich meistens daran», sagt Pascal Beyeler (31), Fachmann Betreuung.

Bewohner brauchen Struktur

Geduld ist alles. Das Coronavirus hat den Tagesablauf der Bewohner und Fachbetreuer komplett auf den Kopf gestellt. Der individuelle Rhythmus – verschwunden. Für viele hier enorm verwirrend.

Die Betreuer versuchen, eine Struktur zu erhalten. Den Bewohnern Verantwortung zu geben. Werner erzählt stolz, er hole jeden Morgen die Post. «Wanderung zum Briefkasten», nennt er es.

Das Heim beherbergt Ateliers, das sind Arbeits- und Beschäftigungsstätten. Esther besuchte früher regelmässig das Musikatelier. Wegen des Virus ist es nun geschlossen. Wie alle anderen auch. «Aber heute geht es wieder auf», sagt Esther überzeugt. Eine Betreuerin korrigiert sie: «Nein, erst im Juni.» Esther und Werner schauen sich an, seufzen im Chor: «Ach, Juni.»

«Wünsche irgendwie ermöglichen»

Die Besuche ihrer Verwandten, vor der Pandemie, erwähnen sie im Gespräch nur nebenbei. Als Esther von ihrer Familie erzählt, nimmt Werner ihre Hand: «Du hast ja mich.»

Betreuer und Mitbewohner ersetzen, was Angehörige momentan nicht bieten können. So gut es eben geht. Pascal Beyeler: «Die Einschränkungen haben uns improvisieren lassen. Wir versuchen, auf jeden einzeln einzugehen. Wünsche trotzdem irgendwie zu ermöglichen.»

Er habe nie Angst um sich selber gehabt, sagt Beyeler. Sein Alltag, sein Privatleben – alles dreht sich aktuell um seine Bewohner. Zu Hause isoliert er sich, kommt mit dem Auto zur Arbeit. «Wir hatten hier im Wohnhaus noch keinen einzigen Coronavirus-Fall. Das soll auch so bleiben», sagt der Betreuer nicht ohne Stolz.

Temperatur und Symptome täglich kontrolliert

Jeden Tag stellt das Team sicher, dass Bewohner und Betreuer keine Symptome wie Fieber, Halsschmerzen oder Husten haben. Personen mit Verdacht auf eine Infektion werden akribisch notiert und Pius Bernet (62) gemeldet, dem Geschäftsleiter der SSBL. Der von ihm geleitete Krisenstab führt Statistiken zu jedem der zwölf Standorte der Stiftung, zu der auch das Heim in Emmen gehört.

Trotz Schutzanzug muss ich das Wohnhaus nach etwa 30 Minuten wieder verlassen. Ebenfalls eine Sicherheitsmassnahme: Die Bewohner sollten mir nicht zu lange ausgesetzt sein. Esther und Werner winken zum Abschied.

Ab heute können sie ihre Angehörigen wiedersehen. Esther ihren Götti und ihren Cousin. Werner seine Kollegin, Bewohnerin im Wohnhaus nebenan.

«Virus wird uns noch lange beschäftigen»

Wie die Schweiz im Allgemeinen lockert auch die SSBL den Lockdown Schritt für Schritt. «Die Bewohner dürfen ihre Besucher ab heute in speziell vorbereiteten Räumen empfangen», erklärt Leiterin Manuela Schlecht. Bei schönem Wetter auch im Garten. Die Wohnhäuser seien aber weiter tabu.

Für die Bewohner bedeutet das eine erneute Umstellung. Ein Stück der alten Normalität, das zurückkehrt. Doch Pascal Beyeler weiss: «Das Coronavirus wird uns hier noch lange beschäftigen.»

Er begleitet mich nach draussen. An der frischen Luft zieht er die Maske aus. Für ihn und sein Team bedeuten die Lockerungen vorerst keine Entspannung. Sie müssen die Bewohner auf die Besuche vorbereiten, an die Regeln erinnern. Trotzdem ist Beyeler voller Vorfreude: «Endlich dürfen sie ihre Liebsten wiedersehen. Es wird schön sein, das mit anzuschauen.»

50'000 Masken dank DeinDeal

Das Lager des Behindertenheims Emmen LU ist wieder rappelvoll. Desinfektionsmittel füllen die Regale, in der Mitte des Raums stehen fünf grosse Kartons. Anfang dieser Woche ist die Lieferung angekommen – 50'000 Schutzmasken! Eine Spende des E-Commerce-Unternehmens DeinDeal, das wie der BLICK zu Ringier gehört. Ursina Schürmann (55) Leiterin Hauswirtschaft hat Tränen in den Augen. «Ich hatte so manche schlaflose Nacht, wusste nicht, wo ich die benötigten Schutzmasken herbekommen soll.»

Als sie im BLICK über die Verlosung von DeinDeal las, meldete sie die Stiftung für Schwerbehinderte Luzern kurzerhand an. Wenige Tage später klingelte das Telefon: Die Stiftung sei für eine Spende ausgesucht worden. Schürmann: «Ich kann die Erleichterung in diesem Moment gar nicht beschreiben», sagt Schürmann. «Dank der Lieferung kann ich nun wieder ruhig schlafen», sagt sie – und fügt an: «Danke!»

Das Lager des Behindertenheims Emmen LU ist wieder rappelvoll. Desinfektionsmittel füllen die Regale, in der Mitte des Raums stehen fünf grosse Kartons. Anfang dieser Woche ist die Lieferung angekommen – 50'000 Schutzmasken! Eine Spende des E-Commerce-Unternehmens DeinDeal, das wie der BLICK zu Ringier gehört. Ursina Schürmann (55) Leiterin Hauswirtschaft hat Tränen in den Augen. «Ich hatte so manche schlaflose Nacht, wusste nicht, wo ich die benötigten Schutzmasken herbekommen soll.»

Als sie im BLICK über die Verlosung von DeinDeal las, meldete sie die Stiftung für Schwerbehinderte Luzern kurzerhand an. Wenige Tage später klingelte das Telefon: Die Stiftung sei für eine Spende ausgesucht worden. Schürmann: «Ich kann die Erleichterung in diesem Moment gar nicht beschreiben», sagt Schürmann. «Dank der Lieferung kann ich nun wieder ruhig schlafen», sagt sie – und fügt an: «Danke!»

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