Mediziner Christian Wenk klagt an
«Als Patient ist man Ärzten völlig ausgeliefert»

Nach einem Unfall brauchte der Mediziner Hüftprothesen. Doch die Gelenke entzündeten sich – obwohl er seine Kollegen auf die Gefahr hinwies.
Publiziert: 09.09.2018 um 18:05 Uhr
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Aktualisiert: 12.10.2018 um 22:05 Uhr
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Christian Wenk im Uni-Spital Basel. Erst hier wurde er angemessen behandelt.
Foto: Stefan Bohrer
Cyrill Pinto

Bei der Vorbereitung auf die WM 2000 kracht Christian Wenk mit seinem Velo in ein Auto – mit über 70 Stundenkilometern! Drei Wochen kämpft der damalige Schweizer Meister im Duathlon um sein Leben. Als er aufwacht, ist er von der Brust an abwärts gelähmt.

Nach langem Spitalaufenthalt und aufwendiger Reha schloss er sein Medizinstudium ab – und trieb sogar wieder Sport. Auf dem Handbike feierte er viele Erfolge, später auch als Trainer des Schweizer Handbike-Nationalteams. Konzerte gab der talentierte Pianist ebenfalls. Die Pedale bediente er über ein spezielles Mundstück.

Seine einzigartige Biografie beweist: Christian Wenk, heute 44 Jahre alt, ist ein Kämpfer. Doch was er in den letzten Monaten durchmachte, liess ihn beinahe verzweifeln.

Als SonntagsBlick Wenk im Spital besucht, zieht er die Bettdecke beiseite: «Beide Beine mussten unterhalb der Knie amputiert werden.» Ausserdem wurde ihm ein künstlicher Darmausgang gelegt. Sitzen kann er nicht mehr.

Der Grund ist eine Kaskade von Unfällen, Behandlungsfehlern und Missgeschicken, die ihn fast das Leben gekostet hätten. Für Wenk ist klar: Hätten die Ärzte auf ihn gehört, wäre es nie so weit gekommen.

Seine letzte Leidensetappe begann im September 2017, nachts bei sich zu Hause. Was genau passiert ist – daran kann er sich nicht mehr genau erinnern. «Ich muss irgendwie sehr unglücklich gestürzt sein.» Aus eigener Kraft schafft er es gerade noch ins Spital von Sursee LU. Diagnose: mehrere Brüche, die Hüftgelenke müssen durch Prothesen ersetzt werden.

Die Ärzte entscheiden sich zur raschen Operation. Dabei kommt es offenbar zur nächsten Katastrophe: Wenk, der selbst zwei Jahre als Anästhesist gearbeitet hat, vermutet, dass bei der Narkoseeinleitung etwas schiefgelaufen ist: Er musste sich erbrechen, Mageninhalt gelangte in die Lunge. Daraufhin deutet, dass er direkt nach der Operation eine schwere beidseitige Lungenentzündung entwickelte.

Oft infizieren sich bei dieser sogenannten Aspirationspneumonie auch Operationswunden. Nach der OP wacht Wenk eine Woche lang nicht richtig auf. Erst danach wird klar: Er kann sich an den Unfall nicht mehr erinnern, kann nicht mehr sprechen und sein Sehvermögen ist eingeschränkt. Für ihn deutet später alles darauf hin, dass er während der Narkose einen Hirnschlag erlitten hat.

Sie wollen Polizei und Psychiatrie holen

Auch nach fast drei Wochen kann er immer noch nicht aufsitzen, der Kreislauf ist zu schwach, die Blutwerte miserabel. Eine Eisenbeigabe verwehrt man ihm. Als Wenk darum bittet, mit dem Handbike eine Runde drehen zu dürfen, droht man ihm mit Polizei oder Psychiatrie. Daraufhin verlässt Wenk das Spital – gegen Anraten der Ärzte. «Behandeln wollte man mich nicht und pflegen konnte ich mich zu Hause besser.»

Doch zu Hause verschlechterte sich sein Zustand so sehr, dass er zehn Tage später wieder in die Notaufnahme in Sursee ging. Was er da noch nicht weiss, aber bereits vermutet: Die Hüftprothesen sind infiziert.

Blutwerte, massive Beinschwellungen und beginnende Verknöcherungen rund um die Prothesen wiesen bereits darauf hin, so Wenk. «Doch als ich den Chefarzt darauf aufmerksam machte und ihn um den Ausschluss eines Prothesen­infekts bat, wimmelte er mich ab. Die Punktion berge mehr Risiko als die Wahrscheinlichkeit, dass da wirklich ein Infekt sei», berichtet Wenk.

Zwei weitere Tage im Spital bringen keine Besserung, ein neu verschriebenes Medikament muss Wenk sogar aus der eigenen Praxis kommen lassen, da es im Spital nicht vorhanden war. Erneut tritt Wenk gegen ärztlichen Rat aus dem Spital aus. Vier Wochen später platzte die Operationswunde an der linken Hüfte – massenhaft Eiter ergoss sich aus der Wunde. Daraufhin sucht Wenk notfallmässig Hilfe in der Klinik St. Anna in Luzern.

«Das Vertrauen in die Ärzte in Sursee war völlig zerstört.» Wenk wird mehrfach operiert, später nach Nottwil LU zur Erholung verlegt. Trotzdem nimmt das Unheil seinen Lauf: Die Hüften versteifen, das Becken und der Rücken zerbrechen in der Folge mehrfach, eine neue, komplette tiefe Querschnittlähmung tritt auf und der Infekt heilt nie richtig ab.

Niemand will ihn behandeln

Wenk entscheidet dennoch, wieder zu arbeiten, anfangs tageweise vom Spital aus. Denn seine Einzelpraxis ohne feste Vertretung war mittlerweile existenziell bedroht. Wenks Zustand ist so komplex, dass ihn niemand behandeln will. Zwischen Januar und Juni 2018 sucht er weit über die Zentralschweiz hinaus verzweifelt einen Arzt, der bereit ist, ihm zu helfen.

Dabei verschlechterte sich sein Zustand zusehends. Arbeiten in seiner Hausarztpraxis war zuletzt nur noch halbtags und wegen der steifen Hüften liegend im Rollstuhl möglich. In Basel findet Wenk schliesslich einen Arzt, der bereit ist, den komplexen Fall aufzuarbeiten und die dringend notwendigen weiteren Schritte zu koordinieren. Im Unispital Basel wird Wenk schliesslich erfolgreich behandelt. Inzwischen durfte Wenk das Spital wieder verlassen.

Zur Behandlung einzelner Patienten könne man keine Stellung nehmen, sagt der Sprecher des Kantonsspitals Luzern auf Anfrage. Man nehme die Anliegen der Patienten jedoch ernst, so Andreas Meyerhans. «Deshalb haben wir auch eine neutrale Ombudsstelle, an die sich Patienten und Angehörige jederzeit wenden können.»

Wenk erzählt seine Geschichte, weil er die Öffentlichkeit wachrütteln möchte: «Selbst ich als Arzt wurde von meinen eigenen Kollegen nicht ernst genommen. Als Patient ist man ihrem Urteil völlig ausgeliefert.» Das müsse sich ändern. Wenk: «Patienten kennen ihren Körper. Sie fühlen, wenn etwas nicht stimmt – das sollten Ärzte ernst nehmen.»

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