An der Station in Vitznau LU herrscht dichtes Gedränge. Um 11.15 Uhr fährt die nächste Bahn nach Rigi Kulm. Die Touristen streben in die Abteile. Fast alle Sitzplätze sind vergeben, vor allem Besucher aus Asien stehen in den Gängen, wollen möglichst nah ans Fenster, fotografieren mit Smartphones alle und alles um sich herum. Die Rigi scheint fest in chinesischer Hand!
Seit das Management der Rigi-Bahnen vor sechs Jahren die Partnerschaft mit einer Organisation um den chinesischen Berg Emei einging und das Marketing im Reich der Mitte verstärkte, ist die Zahl der Besucher von dort förmlich explodiert.
Fast die Hälfte aller ausländischen Gäste stammt mittlerweile aus China. Tendenz stark steigend.
Nicht zuletzt dank der Chinesen kamen die wirtschaftlich angeschlagenen Bahnen wieder auf Kurs. Niemand in Vitznau, Rigi Kaltbad oder Rigi Kulm möchte sie missen. Aber: Der Besucher-Boom sorgt auch für Unmut. Vor allem Schweizer Touristen fühlen sich bedrängt.
«Die Chinesen haben eine spezielle Mentalität und Mühe, sich an bestimmte Ordnungsregeln zu halten», sagt Michael Bähler (29), Fahrdienstleiter bei den Rigi-Bahnen. Dies führe dann und wann zu Auseinandersetzungen mit Schweizer Gästen.
Rigi-Reisende berichten von Chinesen, die in der Bahn auf den Boden spucken – und dabei die Schuhe der anderen Besucher treffen. Eine Touristin aus Zürich erlebte, wie ein Asiate sie im Gedränge mit grosser Wucht gegen die Tür der Bahn drückte. «Als ihn mein Mann bat, etwas zurückzugehen, hob er seinen Arm und rief etwas. Wir fühlten uns bedroht!» Seitdem meidet das Ehepaar die Bahn zu Stosszeiten.
Für Rigi-Bahnen-Direktor Peter Pfenniger (62) ist «die starke Präsenz der Chinesen eine Herausforderung». Man hat die Marketing-Aktivitäten in China ja gezielt verstärkt. Und die Chinesen sind in seinen Augen dankbare Gäste. «Schweizer kommen meist nur bei schönem Wetter. Den Chinesen ist das egal. Sie reisen auch bei Nebel und Regen an, um ihre Fotos zu schiessen.»
Trotzdem ergreifen die Rigi-Bahnen nun Sofortmassnahmen: Um die Konflikte mit anderen Gästegruppen zu entschärfen, gibt es bereits ab September Extrawege für «internationale Gäste», wie Peter Pfenniger es nennt.
Spezielle Wegweiser in chinesischen Schriftzeichen sollen die Ströme aus Asien an ihr Ziel lenken: «Besucher, die in erster Linie das Bergerlebnis mit Ruhe und Entspannung suchen, sollen wieder besser auf ihre Rechnung kommen.»
Bereits im Juli haben die Rigi-Bahnen Extrazüge für asiatische Touristengruppen eingeführt – damit sich Gruppenreisende aus der Ferne und Schweizer Individual-Touristen nicht in die Quere kommen. Die WCs werden nun häufiger gereinigt, ausserdem hängen jetzt dort Schilder, die zeigen, wie die Toiletten korrekt benutzt werden.
Auch in Hotels und Restaurants ist man nicht immer glücklich mit den Touristen aus China. «Sie fahren lediglich rauf und runter und bringen ihr Essen auch noch selbst mit», klagt ein Beizer aus Kaltbad. «Wir haben von dem ganzen Boom rein gar nichts.» Die Rigi-Bahnen informieren mittlerweile die Reiseleiter der Asiaten-Gruppen, dass im Restaurant nur sitzen darf, wer dort auch konsumiert.
Christina Käppeli (31), stellvertretende Geschäftsführerin des Hotel-Restaurants Rigi Kulm, weiss, warum sich viele Schweizer gestört fühlen: «Sie suchen hier oben Erholung und Ruhe. Die Chinesen sind nur kurz hier – und haken den Rigi-Besuch als Teil ihres Europa-Programms ab.» Das führe zu kulturellen Missverständnissen und Auseinandersetzungen. «Bei uns sind alle Gäste willkommen», sagt sie. «Allerdings ist eine zu grosse Massierung einer speziellen Gruppe für die Rigi sicher nicht gut.»
Auch während sie spricht, drängen sich Chinesen auf der Terrasse ihres Hotels – jeder mit einer Kamera oder einem Smartphone in der Hand. Um Konflikte beim Erinnerungsfoto zu vermeiden, setzen die Rigi-Bahnen künftig auf spezielle «Photo-Points», wo Touristen frei und ungestört fotografieren können.
Ein offizieller Photo-Point wird der Stein des Mount Emei auf Rigi Kulm sein. Acht Tonnen wiegt der Brocken, der Ende Juli aus China in der Innerschweiz eintraf. Seitdem lassen sich jeden Tag Hunderte Chinesen mit dem Felsen aus ihrer Heimat vor den Schweizer Bergen fotografieren.
Die Freude ist ihnen ins Gesicht geschrieben. «Wir lieben die Rigi», ruft einer. Dann muss er weg – der Zug fährt gleich. Und die nächste Destination ruft.
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