Es geht auch ehrlich: BLICK in Horw LU
Diese Blindenwerkstatt kann sich sehen lassen

Dank BLICK-Recherchen flog in Brig VS eine falsche Blindenwerkstatt auf. Darunter leiden Menschen, die wirklich eine Sehbehinderung haben. In Horw LU geht man mit gutem Vorbild voran.
Publiziert: 05.09.2018 um 01:37 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 21:58 Uhr
Anian Heierli

13 Jahre lang hat niemand richtig hingeschaut. Die Blinden- und Sehbehindertenwerkstatt (SBSW) aus Brig VS blendete ihre Kunden wortwörtlich. Bis BLICK aufdeckte: Im Betrieb arbeiten weder Blinde noch Menschen mit einer starken Sehbehinderung.

Für seriöse Werkstätten sind solche Negativ-Beispiele bitter. Sie fürchten um das Vertrauen ihrer Kunden. Doris Amrhein (54), Direktorin vom Blinden-Fürsorge-Verein-Innerschweiz (BFVI), öffnet BLICK die Türen zu ihren Werkstätten in Horw LU. «Wir haben nichts zu verbergen», sagt sie.

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Der Blinden-Fürsorge-Verein-Innerschweiz BFI hat seine Werkstätte in Horw LU.
Foto: STEFAN BOHRER

In Horw werden Bürsten, Besen und Stühle gefertigt

Tatsächlich zeigt der Besuch: Hier arbeiten 85 Menschen mit einer psychischen oder körperlichen Beeinträchtigung. Rund 60 von ihnen haben eine starke Sehbehinderung oder sind blind. Der Grossteil fertigt Bürsten und Besen oder Produkte in der Flechterei. Fast alles ist echte Handarbeit.

Die Arbeitsplätze sind aufgeräumt, sauber und einladend. Die Handgriffe sitzen und die Mitarbeiter machen ihre Sache konzentriert – eine Werkstatt wie jede andere. Erst beim zweiten Hinsehen wird klar, hier arbeiten Leute, die blind oder fast blind sind.

Wichtig: Objekte dürfen nicht verschoben werden, da sonst jemand hineinlaufen könnte. In den Werkstätten aber braucht es keine Blindenstöcke. Das eingespielte Team weiss genau, wo was steht und orientiert sich problemlos in den Räumen.

Echte Handarbeit – auch ohne Sehkraft

Ganz normal ist auch der Anspruch des Betriebs. «Wir produzieren hochwertige Produkte ohne Sozialbonus», sagt Werkstattleiter Matthias Metzler (41). Er fügt an: «Diese orientieren sich am Markt und sind nicht teurer, nur weil bei uns Menschen mit einer Beeinträchtigung arbeiten.»

Stefan Imhasly (39) ist einer von ihnen. Er sieht fast nichts. Dennoch machte er vor 22 Jahren in Horw die Lehre zum Korb- und Flechtwerkgestalter und ist bis heute geblieben. Aus gutem Grund. «Die Arbeit gefällt mir», sagt er und zeigt stolz, wie aus Weidenruten ein grosser Früchtekorb entsteht. Dafür braucht er 3½ Stunden. Trotzdem kostet die fertige Handarbeit nicht mehr als 60 Franken.

Mitleid ist nicht gefragt

Im Nebenraum erneuert Janina Rykart (20) gerade das Sitzgeflecht eines alten Stuhls, obwohl sie ihn nur fühlen und kaum sehen kann. «Dafür braucht es feine, ruhige Hände», so die junge Frau, die mit ihren Fingern jedes noch so kleine Loch im Holzrahmen findet.

Gänzlich blind ist ihre Kollegin Andrea Gilgen (38), die gleich neben der Werkstätte im Wohnheim lebt. Ihre Spezialität ist das Fabrizieren von Bürsten und Besen: «Beim Einziehen der Haare versuche ich so gleichmässig wie möglich zu arbeiten.»

Schnell wird klar: Mitmenschen wie Stefan Imhasly, Janina Rykart und Andrea Gilgen erledigen tagtäglich gewissenhaft ihre Arbeit. «Was sie am wenigsten brauchen, ist Mitleid», sagt Werkstattleiter Metzler. Für ihn und sein Team ist es daher umso schlimmer, wenn unseriöse Firmen ihre Produkte mit einem vermeintlichen Blinden-Bonus vermarkten.

Rund 10'000 Blinde in der Schweiz

Wie viele Blinde es in der Schweiz gibt, ist nicht bekannt. Der Schweizerische Zentralverein für das Blindenwesen nimmt an, dass 325'000 Menschen mit einer Sehbehinderung leben. Davon sind aber nur circa 10'000 Menschen komplett blind.

Die anderen haben eine Sehbehinderung. Dabei gibt es in der Schweiz keine klare Definition, was nun eine leichte oder schwere Sehbehinderung ist. Ein Umstand, den die Blindenwerkstatt in Brig VS sich zunutze gemacht hat.

Blinde und Sehbehinderte finden auf dem ersten Arbeitsmarkt nur schwer eine Stelle – selbst wenn sie gut ausgebildet sind.

Früher gab es typische Blindenberufe: Bürstenmacher, Musiklehrer oder Klavierstimmer. In Blindenwerkstätten in der Schweiz wird Blinden und Sehbehinderten vor allem der Beruf des Bürstenmachers angeboten.

Wie viele Blinde es in der Schweiz gibt, ist nicht bekannt. Der Schweizerische Zentralverein für das Blindenwesen nimmt an, dass 325'000 Menschen mit einer Sehbehinderung leben. Davon sind aber nur circa 10'000 Menschen komplett blind.

Die anderen haben eine Sehbehinderung. Dabei gibt es in der Schweiz keine klare Definition, was nun eine leichte oder schwere Sehbehinderung ist. Ein Umstand, den die Blindenwerkstatt in Brig VS sich zunutze gemacht hat.

Blinde und Sehbehinderte finden auf dem ersten Arbeitsmarkt nur schwer eine Stelle – selbst wenn sie gut ausgebildet sind.

Früher gab es typische Blindenberufe: Bürstenmacher, Musiklehrer oder Klavierstimmer. In Blindenwerkstätten in der Schweiz wird Blinden und Sehbehinderten vor allem der Beruf des Bürstenmachers angeboten.

Macht die Augen auf

Kommentar von Sandro Inguscio, Nachrichtenchef

Wer in der heutigen Welt blind vertraut, wird als Naivling abgestempelt. Nicht ganz unbegründet. Traurig und schade ist es trotzdem. Denn blindes Vertrauen ist ein beruhigendes Gefühl. Und mit genau diesem sollte man die Arbeit von Behinderten unterstützen können.

Blender wie jene von Brig machen das kaputt. Ein Jammer! Es kann doch nicht sein, dass von Kanton bis Blindenbund alle die Augen verschliessen und nicht realisieren, was sie da unterstützen und promoten. Ihr Job ist es, nicht blind zu vertrauen. Ihr Job ist es, die Augen aufzumachen, hinzusehen, zu kontrollieren – damit die Konsumenten nicht im Dunkeln tappen.

Ist das Vertrauen erst einmal weg, leiden am Ende all jene, die seit Jahrzehnten fantastische Arbeit in den geschützten Werkstätten unseres Landes leisten. Allen voran die Menschen, die dort trotz Behinderung einer sinnvollen Beschäftigung nachgehen können. Statt ihnen zu helfen, wie sie angeben, schlagen die Blender von Brig Profit in ihrem Namen.

BLICK-Nachrichtenchef Sandro Inguscio.
Blick-Nachrichtenchef Sandro Inguscio
Shane Wilkinson

Kommentar von Sandro Inguscio, Nachrichtenchef

Wer in der heutigen Welt blind vertraut, wird als Naivling abgestempelt. Nicht ganz unbegründet. Traurig und schade ist es trotzdem. Denn blindes Vertrauen ist ein beruhigendes Gefühl. Und mit genau diesem sollte man die Arbeit von Behinderten unterstützen können.

Blender wie jene von Brig machen das kaputt. Ein Jammer! Es kann doch nicht sein, dass von Kanton bis Blindenbund alle die Augen verschliessen und nicht realisieren, was sie da unterstützen und promoten. Ihr Job ist es, nicht blind zu vertrauen. Ihr Job ist es, die Augen aufzumachen, hinzusehen, zu kontrollieren – damit die Konsumenten nicht im Dunkeln tappen.

Ist das Vertrauen erst einmal weg, leiden am Ende all jene, die seit Jahrzehnten fantastische Arbeit in den geschützten Werkstätten unseres Landes leisten. Allen voran die Menschen, die dort trotz Behinderung einer sinnvollen Beschäftigung nachgehen können. Statt ihnen zu helfen, wie sie angeben, schlagen die Blender von Brig Profit in ihrem Namen.

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