Der Softwareingenieur Dejan Karabasevic (45) streitet zunächst alles ab. Doch die österreichischen Polizisten haben eine so lückenlose Beweiskette, dass er zusammenbricht und gesteht. Er hat Geschäftsgeheimnisse seines Arbeitgebers verraten. «Was ich getan habe, war der grösste Fehler meines Lebens», sagt er nach seiner Verurteilung im österreichischen Klagenfurt.
Gemäss seinem ehemaligen Arbeitgeber American Superconductor (AMSC) gibt es Beweise, dass die chinesische Windgeneratoren-Firma Sinovel viel für den Verrat geboten hat: eine Wohnung, einen Fünfjahresvertrag bei doppeltem Gehalt und «allen menschlichen Kontakt, den er will», insbesondere zu «weiblichen Mitarbeiterinnen». Das finanzielle Paket soll sich auf einen Betrag von 1,7 Millionen Dollar summiert haben. Karabasevic konnte nicht widerstehen: Im April 2011 lädt er Informationen auf sein Notebook beim österreichischen Ableger von AMSC. Diese transferiert er über einen Gmail-Account zur chinesischen Firma Sinovel.
Die Amerikaner waren zu 80 Prozent von Aufträgen der Chinesen abhängig. Umgekehrt funktionierten die Wind-Generatoren von Sinovel nicht ohne hochkomplexe Steuergeräte von AMSC. Nachdem Sinovel die Geheimnisse hatte, kündigte es dem amerikanischen Zulieferer über Nacht sämtliche Verträge und baute die Teile selbst. AMSC ging fast pleite. Sinovel dagegen, erst 2006 gegründet, steigt zu einem der bedeutendsten Anbieter von Windgeneratoren auf.
Die Mittel des Staates sind begrenzt
Das Urteil gegen Karabasevic in Klagenfurt: ein Jahr Gefängnis und zwei Jahre auf Bewährung. Zudem muss Karabasevic Schadenersatz in der Höhe von 270'000 Euro leisten. Ein schwacher Trost für seinen ehemaligen Arbeitgeber. Dessen Börsenwert ist wegen des Verrats innert weniger Tage um 800 Millionen Dollar eingebrochen. Gemäss dem amerikanischen Staatsanwalt Brian Levine soll Karabasevic den Sturzflug der AMSC-Aktie in einem E-Mail an seine Freundin mit «ha ha ha» kommentiert haben.
Das ist mitunter der grösste Fall von Wirtschaftsspionage, der in jüngster Zeit vor Gericht verhandelt wurde. Die meisten Vorfälle kämen erst gar nicht ans Licht der Öffentlichkeit, so ein ehemaliger Geheimdienstler. Die Gründe: Reputationsschäden und mögliche Schadenersatzansprüche von Abnehmern. Wenn ein Schweizer Zulieferer einer ausländischen Autofirma Opfer von Wirtschaftsspionage wird, könnte indirekt auch die ausländische Autofirma Schaden erleiden. Diesen könnte sie eventuell sogar vor Gericht geltend machen.
Deshalb sind Wirtschaftsspionage-Fälle meist schon etwas länger her, wenn sie bekannt werden. Wie etwa jener der Fluggesellschaft Air France. Der französische Geheimdienst hatte bis zum Jahr 1994 deren erste Klasse verwanzt, um Gespräche abzuhören und an Geschäftsgeheimnisse zu gelangen.
Weil wenige Fälle bekannt werden, ist der Fokus der Öffentlichkeit nicht sonderlich auf Wirtschaftsspionage gerichtet. Dementsprechend sind auch die Mittel des Staates begrenzt.
Wirtschaftsspionage: Braucht es mehr Ermittlungen?
Von den 330 Angestellten im Schweizer Nachrichtendienst des Bundes (NDB) sind gemäss Experten die wenigsten für Wirtschaftsspionage zuständig. «In einem konkreten Fall würde sowieso nicht nur der NDB aktiv, sondern auch die Bundes- und Kantonspolizei», gibt der Politanalyst Clement Guitton zu bedenken. Er hat ein Buch über den Nachrichtendienst verfasst, das im NZZ-Libro-Verlag erschienen ist: «Der Schweizer Nachrichtendienst seit der Fichenaffäre». Untertitel: «Was er kann und was er darf».
Aber auch Guitton sagt, dass das NDB wohl mehr Leute im Bereich Wirtschaftsspionage beschäftigen würde, wenn der Fokus der Öffentlichkeit darauf wäre. «Der Anstoss zu mehr Einsatz im NDB müsste von Schweizer Firmen kommen», sagt Guitton. In den USA sei es auch so gewesen: Anfang dieses Jahrtausends hätten sich amerikanische Firmen bei ihrer Regierung dafür eingesetzt, dass mehr gegen Wirtschaftsspionage gemacht werden solle.
Um die Lage besser einschätzen zu können, hat der NDB eine Studie in Auftrag gegeben. Sie wird von der Prison Research Group der Universität Bern am Institut für Strafrecht und Kriminologie unter der Leitung von Prof. (FH) Ueli Hostettler durchgeführt. Er soll das Ausmass der Wirtschaftsspionage in der Schweiz untersuchen und die finanziellen Schäden einschätzen.
Weil es in der Schweiz viele Hochtechnologie-Firmen gibt, ist die Gefahr der Wirtschaftsspionage hierzulande besonders gross. Deswegen ist das Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) in der Prävention schon aktiv. Es gibt ein Merkblatt für Unternehmen, wo etwa zur Vorsicht gemahnt wird, wenn ausländische Delegationen auf Firmenbesuch kommen. Zudem sollten vertrauliche Gespräche nicht an unsicheren Orten wie Restaurants, Bars oder in Hotelzimmern geführt werden. Beim Vorgehen der Spione wird insbesondere vor Social Engineering gewarnt. Was das ist, wird in einem öffentlich zugänglichen Film auf der Internetseite des VBS gezeigt – das VBS beschäftigt die grösste Schweizer Filmcrew nach dem Schweizer Fernsehen SRF.
Der Spion im Netzwerk der Firma
Der gut gefilmte Plot des 20-Minuten-Werks: Die Vorlieben und Hobbys des Forschungschefs eines Schweizer Hochtechnologie-Unternehmens werden ausspioniert. In seiner Freizeit schreibt er Bücher, die allerdings völlig erfolglos bleiben. Eines Tages wird der Forschungschef auf dem Weg zu seinem Stammlokal von einer attraktiven blonden Frau angesprochen. Sie fragt ihn nach dem Weg. Zufälligerweise muss sie genau auch in sein Stammlokal. Natürlich begleitet er sie dorthin. Sie sagt, sie sei Autorin, auf dem Weg zu ihrem Literaturagenten. Ihm wird er dann kurz vorgestellt. Zufällig trifft er diesen einige Tage später wieder. Es entwickelt sich eine Freundschaft.
Einige Wochen später: Der Literaturagent ruft den Forschungschef im Büro an. Ein Literaturmagazin in Frankreich wolle etwas von ihm veröffentlichen. Er müsse nur schnell ein Online-Formular ausfüllen, er sende gleich den Link, den er doch bitte gleich ausfüllen und absenden soll. Anschliessend ist der Literaturagent (in Wirklichkeit ein ausländischer Spion) im Netzwerk der Firma. Gemäss einem ehemaligen Mitarbeiter eines ausländischen Geheimdienstes ist für 80 Prozent der Wirtschaftsspionage Social Engineering nötig. Mindestens ein halbes Jahr nähmen sich die Geheimdienstler dafür Zeit, eher mehr.
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