Die gute Nachricht: Anders als in vielen anderen Ländern in Europa sind in der Schweiz die tiefsten Löhne seit der Jahrhundertwende deutlich gestiegen. Auch insgesamt haben sich die Löhne erhöht, trotz Finanzkrise und Frankenüberbewertung. Die Zahl der Gesamtarbeitsverträge hat zugenommen.
Die schlechte Nachricht aus gewerkschaftlicher Sicht: Die hohen und höchsten Löhne sind überproportional gestiegen. Gemäss dem am Donnerstag veröffentlichten Verteilungsbericht des SGB gibt es heute in der Schweiz rund 14'000 Personen mit einem Lohn von über einer halben Million Franken. Mitte der 1990er Jahre waren es noch 3000 Personen.
Noch krasser sei die Ungleichheit in der Vermögensentwicklung, sagte SGB-Präsident Paul Rechsteiner vor den Medien in Bern. Bei der Vermögensungleichheit belege die Schweiz einen Spitzenplatz. Das reichste Prozent hat seinen Anteil am Gesamtvermögen innert zehn Jahren um mehr als 6 Prozent auf rund 42 Prozent gesteigert.
Verschärft wird die Ungleichheit gemäss dem SGB durch eine unsoziale Steuer- und Abgabenpolitik. Diese sei in den letzten 20 Jahren «ganz eindeutig im Interesse der Oberschicht» gewesen, sagte SGB-Chefökonom Daniel Lampart. Zum einen entlasteten Steuersenkungen vor allem die höchsten Einkommen. Zum anderen belasten die steigenden Krankenkassenprämien die tiefen und mittleren Einkommen überdurchschnittlich stark.
Das führt dazu, dass das Prinzip der Besteuerung nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit untergraben wird: Die prozentuale Gesamtbelastung durch Steuern und Abgaben nimmt mit zunehmendem Einkommen nur schwach zu.
Alleinstehende Personen mit einem Monatseinkommen von 3000 Franken müssen im Durchschnitt 37 Prozent ihres Einkommens für Steuern und Abgaben aufwenden. Für eine Person mit 25'000 Franken Lohn pro Monat ist die Belastung mit 46 Prozent nicht viel höher.
Der SGB kritisiert vor allem, dass die Prämienverbilligungen mit der Prämienexplosion nicht Schritt gehalten haben. Unter dem Strich habe sich die Prämienbelastung für Haushalte mit tiefen und mittleren Einkommen seit dem Jahr 2000 teilweise mehr als verdoppelt, sagte Lampart.
Ein Paar mit zwei Kindern und einem jährlichen Bruttolohn von 80'000 Franken wendet rund 12 Prozent des Bruttolohnes für die Krankenkassenprämien auf, eine alleinerziehende Person mit einem Kind 9 Prozent. Bei der Einführung des neuen Krankenversicherungsgesetzes lautete die politische Vorgabe, dass Haushalte nicht mehr als acht Prozent ihres Budgets für Prämien aufbringen sollten.
Die Steuer- und Abgabepolitik mache die Lohnfortschritte zu einem beträchtlichen Teil zunichte, bilanziert der SGB. Obwohl die Löhne in den letzten Jahren gestiegen sind, hat die grosse Mehrheit kaum mehr zum Leben als im Jahr 2000.
Das soll sich ändern. Der Gewerkschaftsbund fordert daher in der laufenden Lohnrunde Lohnerhöhungen von 2 bis 2,5 Prozent. Vor allem langjährige Mitarbeitende und Frauen sollen höhere Löhne erhalten. Der wirtschaftliche Aufschwung müsse für eine gerechtere Einkommensverteilung genutzt werden, schreibt der SGB.
Die Prämienlast will der SGB mit mehr Prämienverbilligungen senken. Niemand soll mehr als 10 Prozent des verfügbaren Haushaltseinkommens für die Krankenkassenprämien ausgeben müssen. Eine entsprechende Volksinitiative hat die SP angekündigt.
Weiter fordern die Gewerkschaften einen 13. Monatslohn für alle, mehr Gesamtarbeitsverträge mit guten Mindestlöhnen und den Abbau gesetzlicher Hürden bei der Allgemeinverbindlich-Erklärung von GAV. Hier setzen sie Hoffnungen auf den Nachfolger oder die Nachfolgerin von Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann. Schliesslich sollen sich die Steuern «wieder an den Interessen der Mehrheit der Bevölkerung ausrichten».
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