Ein bisschen ist es in Interlaken so, als hätte man gerade den Höllenritt einer Zeitreise in diesem eckigen DeLorean DMC-12 aus dem Film «Zurück in die Zukunft» überstanden und sei damit direkt in die tiefsten 1980er katapultiert worden.
Für manche Dinge schämt sich der moderne Mensch zunehmend, speziell der im Berner Oberland fremde Städter: Fleischberge auf dem Grill gehören dazu oder alles Motorisierte – besonders wenn es Lärm macht und (Sprit) säuft wie Ernest Hemingway in seinen besten Tagen. Ganz schlimm sind auch Countrymusik und eigentlich alles Amerikanische, wobei den Gipfel der Peinlichkeit natürlich erwachsene Menschen markieren, die sich als Cowboys verkleiden.
Aber gerade dazu und deshalb ist man ja am Trucker- und Country-Festival, diesem typischen Mix aus Chilbi-Folklore und Lucky-Luke-Show, der seit 27 Jahren Jahr für Jahr 50 000 Besucher in seinen Bann zieht.
Es hat etwas Befreiendes
Weil an diesem Wochenende in Interlaken all das erlaubt ist, was Geschmack und Gewissen der Gegenwart eigentlich verbieten, hat es offenbar etwas sehr Befreiendes: «Yehaaw!» So heisst das hier und so ist das hier auch.
Der erste Vorbote des illustren Treibens ist das donnernde Motorengebrüll, das Besucher schon von weitem erbeben lässt. Erzeugt wird es von einem immensen Kraftfahrzeug mit mannshohen Reifen, das Autowracks zermalmen kann wie unsereins Bierdosen.
Gesteuert wird der Truck von Ändu, der eigentlich gar nicht gern Auto fährt, aber Chef und Besitzer dieses Monsters ist. Und solange E-Auto-Milliardäre ins All fliegen dürfen, findet Ändu, ist so ein Truck zwecks Publikumsgaudi okay.
Dreierlei Disziplinen
Auf einem Holzschnitzelpfad gelangt man zu einer Dorfattrappe, in deren Western-Häuslein sich allerlei Essensstände eingerichtet haben – längst nicht nur mit Steaks und Burgern, auch tibetanische Momos oder türkisches Kebab finden hungrige Steppenwölfe hier. Auch kulinarisch hat Amerika, wie man sieht, seine Vormachtstellung eingebüsst.
Ansonsten teilt sich die Szenerie in dreierlei Disziplinen: Trucks, Country und Bikes. Malermeister Dirk (46) aus Lörrach (D) mit seinem Kenworth-Truck «Silicon Express» ist frisch dabei. Der LKW aus dem Baujahr 1978 zieht Bewunderer an wie die Fliegen, sieht aus wie im Film und sein Spitzname geht auf die Vorbesitzerin zurück, die sich laut dem Nachbesitzer im Bodybuilding hervorzutun pflegte.
Im Namen der Freiheit
Was also macht es aus, dieses Lebensgefühl? «Die Landstrassen etwas unsicher machen», nennt es der schwäbische Hobby-Trucker. Dirk lebt seinen Traum, «so etwas fahren zu können», und nennt es Freiheit.
Sowieso wird hier überall im Namen der Freiheit und der freien Strassen gesprochen, gesoffen, getanzt und gefeiert. Wobei nicht behauptet werden soll, dass man betrunken sein muss, um all dieses Western- und Route-66-Gerede zu ertragen, aber die hiesigen Outlaws kippen nicht ungern schon mittags einen Drink.
Freud und Gestank
Wenn Roland (57) und Tamara (34) den grossvolumigen Zylindern ihres Peterbilt-Trucks von 1989 einheizen, kommt halt schon eine schwarze Wolke aus dem Auspuff. Viele winkten ihnen am Strassenrand zu, erzählt Roland, und teilten die Freude an ihrem Hobby. Nur manche Miesepeter hielten sich demonstrativ die Nase zu, wegen der sogenannten Luftverpestung.
Eine Attraktion anderer Art sind die Bikes. In Zeiten, in denen Motorradklubs der Prozess gemacht wird, wie kommende Woche wieder in Bern, haben Harley-Fans ein Imageproblem. Ganz zu schweigen davon, dass seit Jahren scharenweise Zahnärzte auf schwere Maschinen umsatteln, weil sie der Midlife-Crisis Herr werden wollen. Was natürlich der Reputation auch nicht gerade dienlich ist.
Auch Cowgirls dürfen nicht fehlen
Beat (59) gehört nicht zu dieser Sorte, er ist Strassenbauer und damit eher dem ursprünglichen Biker-Lager zuzuordnen. «Ich bin kein Zahnarzt, kann aber auch Zähne rausholen», lacht er und gibt donnernd Gas.
Wenn dann noch Cowgirls in Jeans auftreten, die vom Stoffverbrauch her ohne weiteres als Gurt durchgehen würden, und in der brütenden Sonne tonnenschwere Trucks ziehen, erzeugt dies besonders nachdenkliche Momente.
Man kann so etwas bizarr finden oder gar verstörend, aber der Wirkung von Phänotypen des Wilden Westens in den Voralpen kann man sich kaum entziehen. Wer gegen High Noon auf dem Interlakner Flugplatzgelände umherschaut, könnte meinen, hier finde ein Gölä-Ähnlichkeitswettbewerb statt.
Schuhwerk als Erkennungsmerkmal
Der Presse begegnet man kritisch, womöglich weil sie sich im Schuhwerk vertan hat. Man trägt hier im Minimum lederne Mokassins, besser gleich Cowboystiefel. Birkenstocks sind das Erkennungszeichen des Feindes. Ein Cowboy fragt, ob man vielleicht von den Grünen sei, diesen «Spassbremsen und Oberlehrern», die man «saufen kann». Greta und ihre Freunde von der Klimajugend, Verzeihung, würden hier auf der Stelle einen Nervenzusammenbruch erleiden, weil das hier schon eine komplett andere Welt ist – und vielleicht auch aus Angst, in der staubigen Prärie gelyncht zu werden.
Wobei die Stimmung durchaus friedlich ist. Der Trucker-, Biker- und Country-Liebhaber weiss, was sich gehört. Und kippt lieber noch ein Bierchen oder tanzt noch einen Linedance, statt sich zu duellieren – eine Gemütlichkeit, die bisweilen in stoische Gelassenheit übergeht.
Als es Zeit wird, wieder in die Zeitmaschine zu steigen, wird man fast etwas wehmütig: So etwas wie ein währschaftes Truckerfestival ist doch eher selten geworden im Jahr 2022.