«Man will den Alpabzug einfach perfekt machen»
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Senn Jakob Tschudi (61):«Man will den Alpabzug einfach perfekt machen»

Wie man einen Alpsommer übersteht
«Allein mit Birchermüsli steht man das nicht durch»

Der Bergsommer geht zu Ende. Wie man oben als Sennerin und Senner eine Saison übersteht. Und was die Heimkehr der Kühe mit den Menschen unten macht.
Publiziert: 25.09.2022 um 09:00 Uhr
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Aktualisiert: 25.09.2022 um 11:40 Uhr
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Lydia Brülisauer (28) und Patrick Bucher (33) sind auch nach einem gemeinsamen Alpsommer noch ein Paar.
Foto: Siggi Bucher
Tobias Marti (Text) und Siggi Bucher (Fotos)

Ein wenig ist es auf der Alp Altenoren im Glarnerland, als wäre man in einen Werbeprospekt geraten, so strahlend ist der letzte Tag des Alpsommers, so genüsslich weiden die Brown-Swiss-Kühe, so geschäftig arbeiten alle in den beiden Sennten (Alpbetriebe).

Was aber hat in diesem urschweizerischen Idyll eine Blutspur zu suchen? Es sieht aus, als habe hier ein Drama sein schlimmes Ende genommen. Aber in Wahrheit ist es ein Anfang. Kuh Valeria hat auf dem Chäsboden ein Kälblein geboren. Der Alpsommer endet, ein neues Leben beginnt.

Für Sentimentalitäten aber ist auf der Sennet von Familie Horner-Trümpy keine Zeit, schliesslich müssen heute noch Kühe gemolken werden, und morgen gilt es, in aller Herrgottsfrühe Mensch und Tier heil ins Tal zu bringen.

Auch drüben in der Sennet Chrummlaui von Familie Tschudi-Bühler bereitet man sich auf den Heimweg vor, nachdem der ganze Sommer über gekäst wurde. Die alpine Königsdisziplin ist wesentlich strenger und anspruchsvoller, als einfach nur auf Rinder aufzupassen. Mancher Grossstädter, der für sich einen leichten Sommerjob erwartete, musste das auf der Alp oben lernen. Wer da nicht fit und zäh ist, hat schlechte Karten.

Geglückte Belastungsprobe

Sennin Lydia Brülisauer (28) und Senn Patrick Bucher (33) haben durchgehalten. Und auch ihre Beziehung hat überlebt. Sie lächeln einander müde an. Von Mai bis September waren sie durchgehend oben, abgesehen von kurzen Abstechern ins Tal – zum Beispiel, um im Hotel Tödi das mit ihrem Bergkäse gefüllte Cordon bleu zu probieren.

Die Bauerstochter und der Forstwart wussten, auf was sie sich einliessen. «Es ist streng, aber man schläft zufrieden ein», sagt er. Im Radio oder auch im Tal könne passieren, was wolle, das Lebensgefühl folge eher dem Motto: «Was geht es uns hier oben an?» Und sie sagt: «Es ist schön, wenn es schön ist.» Sie meint das wortwörtlich. Zu viel Regen kann aufs Gemüt schlagen. Dieser Sommer war lang und herrlich.

Jakob Tschudi (61) lobt sein Sennenpaar und klopft auf Holz, wie es der Aberglaube verlangt. Dann erklärt er, es brauche ein gutes Händchen, um gute Leute zu finden.

Der Alpbesitzer sucht schon jetzt nach Personal fürs neue Jahr. Nicht jede oder jeder sei geeignet, meint Tschudi, schon rein kulinarisch müsse man sich anpassen können: Es gibt Käse, Fleisch, Eier, Brot. «Man isst, was das Leben hier oben hergibt. Allein mit Birchermüesli steht man das nicht durch.»

Es ist kalt und dunkel geworden auf der Alp Altenoren, alle haben sich in die Sennten zurückgezogen, um diesen Kraftort ein letztes Mal zu spüren. Und ihre Gemeinschaft.

Lautes Schauspiel

Was am Morgen als Erstes auffällt, ist die Lautstärke des Spektakels. Lange bevor man die geschmückten, majestätischen Geschöpfe erblickt, hört man ihre Glocken. Und dann trottet das Gesamtkunstwerk Alpabzug, das auf Fremde wie Einheimische eine besondere Magie ausübt, plötzlich direkt auf einen zu.

Die Gesichter der Menschen am Strassenrand sind offener als sonst. Manche wischen sich eine Träne aus den Augen, manche stehen im Morgenrock auf dem Balkon, manche halten ihr Baby ans Fenster, und alle filmen mit ihren Mobiltelefonen.

Kühe und Sennen, hierzulande nahezu mythisch verehrte Wesen, entschleunigen ungemein. Niemand ärgert sich, wenn auf der Hauptstrasse nichts mehr geht. Autofahrer parkieren am Strassenrand und staunen über Anmut und Strahlkraft der Tiere. Alphornbläser nutzen den Mittelstreifen als Bühne, andere verteilen Schnaps und Stumpen an die Älpler.

Gewaltfteier Abzug

Zwar haben die Treiber Stöcke. Die Tiere finden den Heimweg aber auch ohne Hiebe. Senn Patrick Bucher streichelt und tätschelt seine Schützlinge von Linthal über Schwanden bis heim in den Stall nach Ennenda. Und wenn eine Kuh gar zu störrisch tut, stemmt er sich höchstens dagegen, um ihr die gewünschte Richtung zu zeigen. Gewiss gibt es andernorts weniger sanfte Gemüter. Aber um die soll es hier nicht gehen.

Wer mitläuft, spürt schnell, auf was es hier ankommt, auf was besonders zu achten ist.

Wenn Leittiere beispielsweise zum Zweck der Machtdemonstration ein wenig die Köpfe aneinanderdrücken, sollte man möglichst Abstand halten.

Vorsicht ist auch geboten, wenn man unmittelbar hinter so einem Rindvieh geht: Die vielen Kuhfladen auf der Kantonsstrasse fallen ja nicht einfach vom Himmel.


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