Wie lang rockt die Jesus-Disco noch?

Publiziert: 26.03.2007 um 12:26 Uhr
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Aktualisiert: 06.09.2018 um 21:14 Uhr
Von Simon Hehli
ZÜRICH – Mit hippen Gottesdiensten und röhrenden Gitarren rollte die Freikirche icf den Religionsmarkt für ein junges Publikum auf. Doch der Stern ist am Verglühen. Blick Online mischte sich unter die Gläubigen.

Während sich in den letzten zehn Jahren immer weniger Gläubige auf die Bänke der katholischen und reformierten Kirchen setzten, machte sich eine trendige Freikirche auf, die Seelen und Portemonnaies der Jungen zu erobern: die International Christian Fellowship, besser bekannt unter dem Namen icf. 1996 hob Leo Bigger icf in Zürich aus der Taufe; in letzter Zeit entstanden Ableger in Basel, Bern, Genf und anderen Schweizer Städten. Und sogar nach Deutschland und England expandierte die Freikirche.

Georg Otto Schmid, Experte für Sekten und Freikirchen, prophezeite icf vor drei Jahren dennoch ein baldiges Ende, denn die Lebenserwartung einer Trendgemeinde liege bei etwa zehn Jahren (siehe Interview rechts).

Liegt icf also in den letzten Zügen? Blick Online nahm einen Augenschein.

Sonntagmorgen, halb elf. Hunderte aufgebretzelte Twens und jung gebliebene Überdreissigjährige machen sich auf den Weg zur ifc-celebrationhall auf dem Zürcher Maag-Areal. Nur wenige Meter entfernt trällerten sich bis vor kurzem die Musicstars am Schweizer Fernsehen zu vergänglichem Ruhm.

Eine sechsköpfige Band langt in die Gitarrensaiten und lässt das Schlagzeug dröhnen. Die vier Sänger geben perfekt stromlinienförmige Ohrwürmer mit grossem Mitschaukel-Faktor und frommem Inhalt zum Besten: «Gelobt sei der Name des Herrn», «Ich bete dich an, Jesus», «Ich renn in die Arme meines Retters».

Doch die Leute rennen nicht mehr so zahlreich in die weit aufgesperrten Arme des icf: Die Besucherzahlen bei den GenX-Gottesdiensten für die über 26-Jährigen sind von einstmals 2000 auf 1200 gefallen. Die Tribünen in der schmucken celebrationhall sind spärlich besetzt.

Die grellen Konzertlichter tauchen den Raum in gelb und rot. Ein paar icf-Jünger mit grauem Haar stehen im Publikum, wie ihre jüngeren Kollegen strecken sie in religiöser Verzückung die Arme zum Himmel hoch, während sie zur Darbietung der blonden Sandra-Wild-Kopie mitsummen.

Ein Theäterli über einen Mann mit verlorenem Lebenswillen bereitet dann den Boden für Prediger Michi Sieber, der auch als Viva-Moderator durchgehen würde. «Megacool» sei sie, die «Message» von Jesus, sagt Sieber. Er bittet zwei icf-Mitglieder auf die Bühne, die erzählen wie sie aus tiefen Lebenskrisen den Weg zu Gott und zum Glück gefunden haben.

Sieber hantiert mit einem Schaumstoff-Würfel. Die zwei gegenüberliegenden Seiten ergeben bekanntlich die Summe 7. «Egal ob du dich in deinem Leben gerade als 1 oder als 6 wahrnimmst – immer fehlt dir ein bisschen zur Vollkommenheit, die du nur bei Gott finden kannst. Er sieht dich immer als 7». Dann kickt der jugendliche Prediger den Würfel ins Publikum.

Die Band lässt die Halle nochmals beben. «Ich bin frei, für dich zu leben», versprechen sie Gott. So frei ist icf in seiner Lehre dagegen nicht: Sex vor der Ehe gibts nicht, Schwulsein ist verpönt und die Gläubigen seien angewiesen, Freunde zu meiden, die mit icf nicht grün sind, schreibt die «NZZ». Die ultramodernen «celebrations» stehen somit in krassem Gegensatz zu einem erzkonservativen Weltbild. Darüber verliert Sieber kein Wort.

Nach eineinhalb Stunden ist die Jesus-Show vorbei, die hippen Mamis holen ihre Babys im Hütedienst ab. Draussen scheint die Sonne, attraktive junge Pärchen schlendern händchenhaltend vom Maag-Gelände. Allzu sehr werden sie sich einer frühlingshaften Erregung aber nicht hingeben dürfen. Ausser sie tragen schon die Eheringe am Finger.

«Die Leute sind schnell wieder weg»
Georg Otto Schmid (40) arbeitet für die evangelische Informationsstelle www.relinfo.ch. Als Religionswissenschaftler und Experte für Freikirchen und Sekten beschäftigt er sich seit Jahren mit dem Phänomen icf.

Wie trendy ist icf noch?

Nicht mehr sehr. In den letzten Jahren gab es einen happigen Einbruch, der gar den Mitgliederschwund bei den Landeskirchen in den Schatten stellt. Auf dem freikirchlichen Religionsmarkt geht es ähnlich zu und her wie im Musikbusiness: Ist eine Band in, kaufen plötzlich alle deren CDs. Bei einer Trendgemeinde wollen am Anfang auch alle dabei sein; doch diese Leute sind auch schnell wieder weg.

Wirken die konservativen Werte, die icf vertritt, nun plötzlich abschreckend auf Jugendliche?

Dazu muss man wissen, dass eigentlich alle Freikirchen das Credo vertreten, dass die Gläubigen keinen Sex vor der Ehe haben sollten, und Homosexualität ablehnen. Aus diesem freikirchlichen Umfeld kommen auch 80 Prozent der icf-Mitglieder, sie sind mit diesen Werten also schon länger vertraut. Nur jedes zehnte Mitglied ist ein bekehrter früherer Atheist.

Wie strikt leben denn die icf-Jünger das kein-Sex-vor-der-Ehe-Verbot aus?

Die Mentoren in den 12er-Gruppen würden sofort eingreifen, wenn jemand mit seinem Partner im Konkubinat leben oder nur schon zu zwei in die Ferien verreisen würde. Diese Überwachung funktioniert aber beim Geld nicht so gut.

Steckt der icf also in Finanznot?

In Predigten wird regelmässig dazu aufgerufen, einen Zehntel des Lohns abzuliefern, aber offenbar befolgen viele dieses Gebot nicht. So wird es schwierig, die Supershow – ein Luxusprodukt unter den Gottesdiensten – zu finanzieren. Und die icf-Chefs wissen: Es wäre ein Supergau, wenn sie anfangen würden zu überprüfen, wer genau wie viel Geld einzahlt. Dann hätten sie die Schwelle zu einer Sekte überschritten.

Wie viele Jahre geben Sie icf noch?

Eine Trendkirche hält sich normalerweise nicht mehr als zehn Jahre an einem Ort. Durch die geografische Ausbreitung in der Schweiz und vor allem in Deutschland hat icf noch Wachstumspotential. Doch wenn nicht Leo Bigger, der auch schon in die Jahre gekommen ist, seinen Platz bald räumt und icf sich ein frischeres Image zulegen kann, wird es um die Zürcher Gemeinde bald geschehen sein.
Georg Otto Schmid (40) arbeitet für die evangelische Informationsstelle www.relinfo.ch. Als Religionswissenschaftler und Experte für Freikirchen und Sekten beschäftigt er sich seit Jahren mit dem Phänomen icf.

Wie trendy ist icf noch?

Nicht mehr sehr. In den letzten Jahren gab es einen happigen Einbruch, der gar den Mitgliederschwund bei den Landeskirchen in den Schatten stellt. Auf dem freikirchlichen Religionsmarkt geht es ähnlich zu und her wie im Musikbusiness: Ist eine Band in, kaufen plötzlich alle deren CDs. Bei einer Trendgemeinde wollen am Anfang auch alle dabei sein; doch diese Leute sind auch schnell wieder weg.

Wirken die konservativen Werte, die icf vertritt, nun plötzlich abschreckend auf Jugendliche?

Dazu muss man wissen, dass eigentlich alle Freikirchen das Credo vertreten, dass die Gläubigen keinen Sex vor der Ehe haben sollten, und Homosexualität ablehnen. Aus diesem freikirchlichen Umfeld kommen auch 80 Prozent der icf-Mitglieder, sie sind mit diesen Werten also schon länger vertraut. Nur jedes zehnte Mitglied ist ein bekehrter früherer Atheist.

Wie strikt leben denn die icf-Jünger das kein-Sex-vor-der-Ehe-Verbot aus?

Die Mentoren in den 12er-Gruppen würden sofort eingreifen, wenn jemand mit seinem Partner im Konkubinat leben oder nur schon zu zwei in die Ferien verreisen würde. Diese Überwachung funktioniert aber beim Geld nicht so gut.

Steckt der icf also in Finanznot?

In Predigten wird regelmässig dazu aufgerufen, einen Zehntel des Lohns abzuliefern, aber offenbar befolgen viele dieses Gebot nicht. So wird es schwierig, die Supershow – ein Luxusprodukt unter den Gottesdiensten – zu finanzieren. Und die icf-Chefs wissen: Es wäre ein Supergau, wenn sie anfangen würden zu überprüfen, wer genau wie viel Geld einzahlt. Dann hätten sie die Schwelle zu einer Sekte überschritten.

Wie viele Jahre geben Sie icf noch?

Eine Trendkirche hält sich normalerweise nicht mehr als zehn Jahre an einem Ort. Durch die geografische Ausbreitung in der Schweiz und vor allem in Deutschland hat icf noch Wachstumspotential. Doch wenn nicht Leo Bigger, der auch schon in die Jahre gekommen ist, seinen Platz bald räumt und icf sich ein frischeres Image zulegen kann, wird es um die Zürcher Gemeinde bald geschehen sein.
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