Wie der Plastik zu uns kommt und fast nicht mehr verschwindet
Der transparente Feind

Plastik ist das neue Übel. Die Politik will ihn loswerden. Wir sind dem Kunststoff gefolgt, von den Erdölquellen Saudi-Arabiens über die Verpackungsfabrik im Waadtland bis zur Deponie im Kanton Bern.
Publiziert: 17.06.2018 um 18:21 Uhr
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Aktualisiert: 12.06.2019 um 18:46 Uhr
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In Ecublens VD stellt die Migros-Tochter Micarna modernste Plastikverpackungen her.

Grüezi! Gestatten, ich bin die Verpackung ­Ihres Schnitzels, das Sie beim Grossverteiler kaufen. Ich bin hübsch: Ich glänze leicht, ich bin teilweise fest, teilweise ­anschmiegsam, ich sehe trotz meiner umweltfreundlichen Anmutung sehr hygienisch aus. Was Sie nicht wissen oder verdrängen: Sie essen mich, auch wenn ich eigentlich nicht geniessbar bin. Doch dazu komme ich erst zum Schluss. Zunächst weiss ich natürlich, dass Sie mich eigentlich gar nicht möchten. Sie müssen aber, denn ich umhülle die ­Dinge, die Sie wirklich kaufen wollen. Mich hingegen benützen Sie nur kurz und schmeissen mich dann, je nachdem, wo Sie wohnen, in den Güsel oder Ghüder, in den Abfall oder Kehricht.

Die Politik hat dem Plastik den Kampf angesagt. Er gilt als das neue Übel unserer Zeit. Doch woher kommt er eigentlich, wie landet er in der Schweiz, und was passiert, nachdem wir ihn entsorgt haben? Wir verfolgen den Weg einer Schnitzelverpackung aus der Migros von Anfang bis Ende. Von Saudi-­Arabien bis nach Teuftal im Kanton Bern.

Als Erstes müssen Sie wissen: Eine Lebensmittelverpackung ist ein regelrechtes Wunder der Technologie, das Produkt eines Zusammenspiels diverser Industrien. Nur schon dass Kaufkunden zwar - wie in unserem Beispiel - ein Schnitzel, aber kaum Blut sehen, ist eine ­kleine Meisterleistung, an der neun Monate lang Produktentwickler, Physiker, Ingenieure, Chemiker, Materialforscher, Marketingexperten und Grafikdesigner gearbeitet haben. Sogar auf mathematische Berechnungen spezialisierte Firmen beschäftigt die Migros bei der Entwicklung einer neuen Verpackung - um den Materialbedarf exakt an die optimale Ökobilanz einer Verpackung anzupassen.

Das erklärt auch, weshalb immer noch Plastik zum Einsatz kommt. Die Umweltbelastung bei der Herstellung von Bioplastik sei höher, erklärt Migros-Mediensprecherin Alexandra Kunz. «Der Anbau der Rohstoffe für Bioplastik - in der Regel Mais oder Zuckerrohr - erzeugt durch den Pestizideinsatz und die Bewässerung viel höhere Emissionen. Die Ökobilanz ist so schlechter als bei konventionellem Plastik.» Die Migros spart mit ihrer neusten Verpackung 70 Prozent Kunststoff respektive 30 Tonnen im Jahr ein. Deshalb besteht diese zum ­einen aus umweltfreundlichem, rezyklierbarem Karton und zum anderen aus einer dünnen Hightech-Kunststofffolie mit sieben Schichten und verschiedenen Funktionen.

In Ecublens VD stellt die Migros-Tochter Micarna modernste Plastikverpackungen her.

Unter der Erde tief, da komm ich her: sieben Schichten ... Alles klar, aber beginnen wir von vorn: Meine sieben durchsichtig-glänzenden Schichten sind anfangs gar nicht hübsch, biegsam und glänzend. Ich bin sozusagen eine Ausgeburt der Hölle: Unter tonnenschweren Erdschichten hocke ich zu Anbeginn meines Lebens in Saudi-Arabien tief, tief unter Gestein, heiss, dickflüssig und träge.

Einmal hochgepumpt, verschifft die saudische Erdölindustrie den Rohstoff, der allen Kunststoffen zugrunde liegt, nach Antwerpen. In einer Fabrik erhitzt dort eine riesige Maschinerie das grob gereinigte Erdöl auf bis zu 800 Grad Celsius. Cracking nennt die Industrie dieses Verfahren. In dieser Hitze zerfällt das Öl zu Gasen, die wiederum ­andere Fabrikanlagen in Granulate umwandeln.

Auf Lastwagen fährt man diese unter anderem in die Nähe von Como in Italien. In verschiedenen Fabriken werden die Granulate ­erhitzt und in einem Verfahren ­namens Blas­extrusion zu einer ausgeklügelten Folie verarbeitet. Eine Schicht besteht etwa aus Nylon, die sorgt für Zähigkeit und Durchstossfestigkeit. Eine andere besteht aus Ethylenvinyl­alkohol, sie wirkt als Aroma- und Sauerstoffbarriere. Noch eine weitere Schicht sorgt für Elastizität - damit die Verpackungen leicht zu öffnen sind. All diese Funktionen benötigen lediglich eine Dicke von 125 Mikron, also 0,125 Millimetern - etwa das Doppelte eines menschlichen Haares.

Sie sehen, bis Sie mich auf Ihrer Küchentheke ­aufreissen, wurde ich schon ein paar Mal herumgekarrt in meinem Leben. Nur schon was ich bis zu Ihnen so an Strecke gemacht habe, geht auf keine Kuhhaut - mindestens 5400 Kilometer Luftlinie. Ich habe vielleicht sogar schon mehr von der Welt gesehen als Sie! Bestimmt aber habe ich schon mehr Transportunternehmen beschäftigt. Nach Saudi-­Arabien, Antwerpen und Como geht es nun nämlich in die Schweiz.

In Ecublens bei Lausanne stellt die Micarna die neue Verpackung ­zusammen. 85 Migros-Angestellte in hygienisch weissen Schutzanzügen belegen einen mit Spezialfolie beschichteten Karton mit Fleischstücken. Vor dem Eintritt in und dem Ausgang aus den Produktionshallen desinfiziert eine Schleuse ihr Schuhwerk, auch die Hände müssen sie akribisch mit Seife und Alkohol desinfizieren. Die Karton-Folie-Fleisch-Kombination gerät automatisiert auf ein Förderband. Von oben führt ein Förderband das Oberteil der Spezialfolie zu, die Maschine stanzt sie, in einem weiteren Schritt saugt sie die oberen Spezialfolienanteile warm hoch, lässt die Folie biegsamer werden und vakuumiert sie passgenau mit dem unterliegenden Teil samt Fleisch luftdicht. In der Fachsprache: skin packs - hautenge Verpackung.

Plastik wollen wir nicht kaufen, doch alles was wir kaufen steckt im Plastik. Bei der neusten Verpackung der Migros lässt sich die Folie leicht vom Karton trennen und rezyklieren.

Ich bin fertig! Angestellte ­verteilen mich in Paletten, das hauseigene Transportwesen liefert mich via Lastwagen in die Läden, wo ich endlich meinen Zweck erfülle: Sie, Herr oder Frau Kunde, kaufen mich. Und das ist ja noch nicht alles: Wenn Sie sich brav ­verhalten, wie es vorgesehen ist, trennen Sie nachher meine Plastikanteile vom Karton, ­rezyklieren diesen und schmeissen mich in Ihren Güsel oder Ghüder. Nun ­beginnt mein zweites, nahezu ewiges Leben. Sie stellen mich, wie jährlich schweizweit knapp drei Millionen Tonnen meiner diversen Artgenossen, in Güsel säcke gepackt raus. Ihnen bin ich jetzt aus dem Sinn.

22 Lastwagen und rund 130 Angestellte sorgen allein in der Stadt Bern dafür, Haushaltskehricht wegzutransportieren. Nur schon die ­Arbeitskleidung der Angestellten in gut sichtbarem Neongelb füllt regalhoch gestapelt einen ganzen Raum. Mit Schwung werfen zwei Güselmänner während täglich achtstündigen Schichten Abfall­säcke in einen Lastwagen. Im dunklen Innern des Müllfahrzeugs zusammengequetscht und gepresst fährt unser Abfall an so schönen Orten wie der Zytglogge oder dem Bärengraben vorbei. Bis die zwei Ghüderabfuhrmänner den gesammelten Müll in eine grosse Halle bei der Energiezentrale Forsthaus entladen.

Sähen Sie mich jetzt von oben liegen, wie der Mann, der mich weiterverarbeitet, würde Ihnen vor Höhenangst schwindlig - in einer solchen Halle waren Sie noch nie! ­Ungefähr 40 Meter hoch und 20 im Quadrat - einfamilienhaushoch - liege ich dort nun mit anderem Abfall herum und stinke zum Himmel. ­Hinter ­einer Glasscheibe in rund 30 Metern Höhe sitzt ein Mitarbeiter der Energiezentrale Forsthaus. Er steuert einen ­riesigen Metallgreifer mit fünf Metern Durchmesser, der mich und weitere sechs Tonnen ­Abfall hochhebt und in rund 35 Metern Höhe in einen ­schrägen Trichter entleert. Mir wird heiss: Bei 1000 Grad Celsius verwandle ich mich in Energie. Ich und meine Güselkumpane beheizen immerhin mit 112 000 MWh Tausende Berner Haushalte und sorgen via Wärme­umwandlung und Einspeisung ins Stromnetz für 75 000 000 kWh Strom. Das ist eine fami­liäre Sache: Die Turbinen, die ich betreibe, sind nach den Ehefrauen der Projektverantwortlichen ­benamst, ich treibe also Lotti und Renata an.

130 Müllmänner sorgen mit 22 Lastwagen in der Stadt Bern dafür, dass der Haushaltsmüll in die Verbrennungsanlagen kommt.

Bei der Verbrennung von Haushaltskehricht entsteht Wärme­energie, aber auch giftige Gase und Asche, die Schlacke. Die gasförmigen Anteile filtern fünf verschiedene Anlagen - unter anderem von Schwermetallen, die andere Industriezweige wiederum rezyklieren. Bei der Reinigung der Anlagen ­tragen die Arbeiter Ganzkörper-Schutzanzüge und Gasmasken. Die normale Schlacke, auf das Gewicht eines Fünftels der ursprünglichen Müllmasse reduziert, gerät auf ein Förderband. Magnete und Arbeiter sortieren wiederverwertbare Materialien wie Metall heraus, bevor sie in der Schlackenhalle in einem Zwischendepot lagert.

Über allen Wipfeln herrscht Ruh … Sie ahnen es: Ich werde nun wieder einmal ­herumgekarrt. Immerhin sind nun die Strecken kürzer. Meine letzte Ruhestätte liegt in der Schlackendeponie Teuftal im Kanton Bern.

Seit 1979 existiert die Schlackendeponie Teuftal. Geologen haben hier einen Ort gefunden, unter welchem Molassegestein liegt. Dieses ist nahezu wasserundurchlässig, sodass Regenwasser, das durch die Schlacke sickert und danach kontaminiert ist, nicht ins Grundwasser gerät. Für die nächsten 1000 Jahre wäscht nämlich Regenwasser gut lösliche Salze und Sulfate aus der Schlacke aus, genauso wie Schwermetalle wie Blei und Kupfer. Deshalb haben Ingenieure dafür gesorgt, dass dieses Wasser nicht in den Wohlensee fliesst, sondern in die Abwasserreinigungsanlage Laupen. 100 Jahre lang sind die Konzentrationen so hoch, dass die Abwasserindustrie das Schlackenwasser überwachen muss. Nach rund 1000 Jahren dürften sämtliche Salze ausgewaschen sein. Haushaltsmüllschlacke sondert aber trotzdem noch für ungefähr 10 000 Jahre Schwermetalle ab, wenn auch nur langsam - und auch nur, wenn in der Schweiz ­relativ hohe Temperaturen herrschen. 2035 wird die Deponie Teuftal voll sein. Dann wird der Bund Bäume über die Schlacke pflanzen. In 20 oder 30 Millionen Jahren würden menschliche Geologen oder eine andere intelligente Spe­zies sie kaum von anderen meta­morphen, das heisst unter Druck entstan­de­nen, Gesteinen unterscheiden können.

So rezyklieren Sie Kunststoff richtig

PET

Der Polyester-Kunststoff lässt sich zu hochwertigen Produkten wiederverarbeiten – und wird in der Schweiz höchst erfolgreich rezykliert: 83 Prozent des PET landen am richtigen Ort.

Plastikflaschen

Die meisten Detailhändler nehmen Plastikflaschen von Shampoos oder Milchprodukten entgegen.

Sammelsäcke

Es gibt verschiedene Anbieter von Sammelsäcken für Plastikmüll, einige von ihnen stehen allerdings in der Kritik, weil der Abfall im Ausland verarbeitet wird und die Recycling-Qualität tief ist.

PET

Der Polyester-Kunststoff lässt sich zu hochwertigen Produkten wiederverarbeiten – und wird in der Schweiz höchst erfolgreich rezykliert: 83 Prozent des PET landen am richtigen Ort.

Plastikflaschen

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Sammelsäcke

Es gibt verschiedene Anbieter von Sammelsäcken für Plastikmüll, einige von ihnen stehen allerdings in der Kritik, weil der Abfall im Ausland verarbeitet wird und die Recycling-Qualität tief ist.

Eine andere Möglichkeit für Sie ist es, mich ins Plastikrecycling zu geben. ­Früher hat man Exemplare wie mich oft nach China ­verschifft und mit ­Millionen Tonnen Artgenossen in eine Plastikmülldeponie ­geworfen. Aber die Chinesen wollen mich seit Ende letzten Jahres nicht mehr

In der Schweiz landet der separat gesammelte Plastikabfall zu grossen Teilen - gemäss «Beobachter» rund 50 Prozent - erneut in der Kehrichtverbrennung, da sich Kunststoff-Mischungen oftmals nicht zur Weiterverarbeitung eignen. Was nach der Sortierung im Ausland wiederverwertbar ist, presst die Plastikrecyclingindustrie zu Ballen, bevor Schredder diese in kleinste Stückchen zerkleinern. Aus diesem erneut verschiffbaren Granulat entstehen Rohre, Ver­kleidungen, Verpackungsmaterial oder Kabelummantelungen. Zur Verpackung von Lebensmitteln taugt dieser Werkstoff nicht mehr, zu unbekannt sind die chemischen Verbindungen.

Dadurch entsteht 112 000 MWH, die tausende Berner Haushalte mit Energie versorgen.

Haben Sie mich aber - etwa nach einer Grillade im Freien - einfach achtlos liegen gelassen, werde ich zum echten ­Problem. Zum Glück geschieht das laut meinen Herstellern von der Schweizer Kunststoffindustrie nur in 0,4 Prozent der Fälle. Dann wäscht der ­ Regen mich in Flüsse, so gerate ich ins Meer - wie jährlich ­weltweit vier Millionen Tonnen Plastikabfall. Und ich bin immer noch hübsch, ich glänze immer noch leicht und bin stellenweise auch farbig bedruckt. So fressen mich Tiere wie Seevögel und diverse Fischarten gern - und verhungern dann, weil ich ihren Verdauungstrakt blockiere.

Mittlerweile gibt es fünf riesige ­Inseln von der Grösse ganzer Kontinente im Meer, die nur aus verschiedenen Kunststoffabfällen bestehen. Dass Seevögel, Fische und Meeressäuger dies fressen und anschliessend verhungern, ist dabei nicht das einzige Problem. In Salzwasser und Sonnenlicht zerfallen diese erdölbasierten Kunststoffe je nach Zusammensetzung entweder nach wenigen oder Hunderten von Jahren in mikroskopisch kleine Teile. Diese ziehen andere Schadstoffe wie Quecksilber, Blei und sonstige Schwermetalle an, die in den Ozea­nen schwimmen und sich leicht an den Oberflächen dieser Kunststoffe anlagern.

In Fisch und Meeresfrüchten hat eine Studie von Greenpeace Ende 2016 folgende Kunststoffverbindungen gefunden: Polypropylen, Polyethylen, Poly­ester, Alkydharz, Rayon, Polyamid, Nylon, Acryl, Poly­styrol, Polyethylenterephthalat und Polyurethan.

Sie sehen, Sie werfen mich zwar in den Abfall, aber auf Wiedersehen können Sie mir nicht sagen: Sie werden mich so oder so nur mehr schwer wieder los. Darum sage ich ­Ihnen gleich noch einmal: Grüezi! Ich bin die Verpackung Ihres Schnitzels, und Sie essen mich!

Politik gegen Plastik

Ende Mai gab die EU bekannt, Einwegprodukte aus Plastik zu verbieten. Dazu zählen Geschirr, Röhrli und Wattestäbchen. Die zuständige EU-Kommission erhofft sich so, bis 2030 Umweltschäden in der Höhe von 22 Milliarden Dollar zu verhindern. Der Vorschlag muss nun noch vom EU-Parlament und den einzelnen Staaten abgesegnet werden. Die Schweiz möchte die Regelung nicht übernehmen, wie der Bundesrat mitteilte. Die Pläne der EU sollen helfen, die grossen Mengen an Plastik in den Weltmeeren zu verringern. Der Kampf gegen Plastik ist ein globales Phänomen. Anfang Jahr hatte China bekannt gegeben, den Import von Kunststoffmüll zu verbieten.

Ende Mai gab die EU bekannt, Einwegprodukte aus Plastik zu verbieten. Dazu zählen Geschirr, Röhrli und Wattestäbchen. Die zuständige EU-Kommission erhofft sich so, bis 2030 Umweltschäden in der Höhe von 22 Milliarden Dollar zu verhindern. Der Vorschlag muss nun noch vom EU-Parlament und den einzelnen Staaten abgesegnet werden. Die Schweiz möchte die Regelung nicht übernehmen, wie der Bundesrat mitteilte. Die Pläne der EU sollen helfen, die grossen Mengen an Plastik in den Weltmeeren zu verringern. Der Kampf gegen Plastik ist ein globales Phänomen. Anfang Jahr hatte China bekannt gegeben, den Import von Kunststoffmüll zu verbieten.

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