Margrith Dolet lebt. Das grenzt für die 72-Jährige aus Bex VD an ein Wunder. Denn: Ein aggressiver Schafbock griff sie an und verletzte sie schwer. «Nie hätte ich mit einer solchen Attacke gerechnet», sagt sie zu Blick. «Ich dachte wirklich, dass das mein Ende ist.»
Ihr Glück: Der Schafbock greift sie nicht mit den Hörnern an oder tritt mit seinen Klauen auf sie. «Das wäre definitiv mein Ende gewesen», ist sich die Rentnerin sicher. «Er stiess mit seinem Kopf fest gegen meinen Körper.» Das Resultat: sechs gebrochene Rippen und schwere innere Blutungen. Inzwischen sind die Verletzungen verheilt. Was bleibt: die Angst. «Sehe ich beim Wandern Tiere, flüchte ich sofort.»
Zwischen Reben unterwegs
Der 6. März 2022 sei der «wohl schlimmste Tag ihres Lebens», so Dolet: Die begeisterte Wanderin läuft alleine von Ollon VD zurück zu ihrem Wohnort Bex. Dabei ist sie auf einem steinigen Wanderweg zwischen Reben unterwegs. «Es war ein sonniger Tag. Ich war glücklich. Etwas müde von der langen Strecke, aber tiefenentspannt», sagt Dolet. «Bis ich auf einer leichten Anhöhe diesen Schafbock sah. Aus dem Nichts ging er auf mich los.»
Wegrennen kann Dolet nicht mehr. Es geht alles viel zu schnell. Sie versucht, das Tier mit einem ihrer Wanderstöcke auf Distanz zu halten – erfolglos. Die Rentnerin schafft es jedoch, ihre Tochter mit dem Handy zu alarmieren. «Leider konnte ich ihr meinen genauen Standort nicht nennen.» Durch den Anruf weiss Dolet, wie viel Zeit bis zu ihrer Rettung vergangen ist. «Der Bock griff mich über 45 Minuten immer wieder an.»
Keine Fluchtmöglichkeit
Es erfolgt ein Stoss auf ihren Körper. «Dieser hatte es in sich», sagt Dolet und gibt zu: «Am meisten lähmte mich meine Angst.» Während sie benommen auf dem Boden liegen bleibt, schaut sie sich nach Fluchtmöglichkeiten um.
Aber: «Der Wanderweg liegt links und rechts zwischen steilen Rebhängen. Links nach oben zu klettern, hätte ich nicht mehr geschafft», sagt sie. «Und rechts nach unten laufen lag nicht drin, weil ich nicht wusste, wie steil es nach den ersten Reben-Reihen und einer Steinmauer nach unten ging.»
Ihr bleibt also nur der Weg in Richtung Schafbock oder der Weg auf ihre Wanderstrecke zurück. «Doch das Tier folgte mir und stiess immer wieder zu.» Die Schmerzen seien unsäglich gewesen – vor allem nach dem Stoss, der ihre Rippen zum Bersten gebracht habe.
Unsägliche Schmerzen
Die Hoffnung, dass sie jemand findet, sei mit jeder Minute gesunken. Was die Rentnerin nicht weiss: Auf einer Strasse weiter unten am Hang läuft gerade ein Paar aus Troistorrents VS vorbei und wird auf das Tier aufmerksam. «Dem Paar ist nach eigener Aussage wohl aufgefallen, wie der Schafbock so irre hin und her gelaufen ist.» Doch das Ehepaar muss wegen der schwierigen Umgebung einen Umweg machen, um zu Dolet zu gelangen.
Paar rettet Rentnerin
Ihre Rettung habe Dolet gar nicht mehr mitgekriegt. Durch die Schmerzen sei sie in Ohnmacht gefallen. «Anscheinend konnte das Paar den Schafbock irgendwie vertreiben», sagt Dolet. Sie ist sich sicher: «Ohne die beiden hätte ich den Angriff nicht überlebt. Ich bin meinen Rettern so dankbar!»
Die Rega fliegt Dolet ins Spital nach Lausanne VD. Danach muss sie wochenlang in die Reha. Inzwischen fühlt sich die Waadtländerin besser, hat nur ab und zu Schmerzen. Was ihr jedoch zu schaffen macht: «Der Halter des Schafbocks hat sich nie bei mir gemeldet, um sich wenigstens nach mir zu erkundigen.»
Schliesslich habe sie sich selbst bei dem Mann gemeldet und erfahren, dass das Tier getötet werden musste. «Wenigstens kann der Schafbock keine anderen Menschen mehr verletzen.»
Der Halter des Schafbocks war für Blick nicht erreichbar.