Vater erhebt schwere Vorwürfe
«Emilie könnte noch leben!»

Die 15-Jährige verschwand 2013 aus einem Heim. Drei Monate später fand man ihre Leiche in einem See. Jetzt wird der Vorwurf laut: Heim und Polizei haben bei der Suche geschlampt!
Publiziert: 19.07.2015 um 19:59 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 15:50 Uhr
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Die 15-jährige Emilie Fortuzi starb unter mysteriösen Umständen.
Von Joel Weibel

«Ich will wissen, warum meine Tochter sterben musste. Sonst komme ich in meiner Trauerarbeit keinen Schritt weiter», sagt Adrian Fortuzi (48).

Er ist der Vater von Emilie (†15), dem autistischen Mädchen, das am 12.November 2013 aus dem Freiburger Heim «Home-École Romand» verschwand.

Es dauerte drei Monate, bis Emilie im Februar 2014 gefunden wurde – sie lag tot im Schiffenensee in der Nähe von Freiburg. Für Polizei und Justiz war sofort klar: Ihr Tod war ein tragischer Unfall, niemand trägt Schuld.

Der Staatsanwalt wollte keine Ermittlungen aufnehmen. Die Eltern aber stellten sich quälende Fragen: Wie konnte das Mädchen unbemerkt aus dem Heim verschwinden? Weshalb wurde ihre Leiche so spät gefunden? Könnte Emilie vielleicht sogar noch leben?

Die Familie liess nicht locker. Emilies Vater legte mit seinem Anwalt Nicola Meier (39) Beschwerde gegen den Entscheid der Justiz ein. Mehr als eineinhalb Jahre später, am 2. Juli 2015, gab ihm das Freiburger Obergericht recht.

Die Richter ordneten an, die Umstände, die zu Emilies Tod geführt haben, genau zu untersuchen. Das heisst: Oberstaatsanwalt Fabien Gasser (41) muss wegen fahrlässiger Tötung ermitteln.

Emilies Vater und sein Anwalt machen dem Heim «Home-École Romand» der Stiftung Les Buissonnets schwere Vorwürfe. Das Verschwinden des Mädchens wurde erst nach 45 Minuten gemeldet – und nicht, wie intern vorgeschrieben, nach 15 Minuten. «Es fragt sich, ob Emilie noch am Leben wäre, wenn alle richtig gehandelt hätten», sagt Rechtsanwalt Meier.

Jetzt zeigen Dokumente, die SonntagsBlick vorliegen: Auch bei der polizeilichen Suche nach Emilie gibt es Widersprüche. Laut ­einem Rapport einer Polizistin suchten Beamte und Heimmitarbeiter sechs Stunden lang vergeblich nach dem Mädchen.

Erst dann setzten sie gemäss Rapport einen Suchhund ein: «Der Einsatz des Suchhundes wurde nach über sechs Stunden ergebnisloser Suche der Patrouillen und der Heimmitarbeiter angefordert.»

Suchhund verweigert?

Gemäss einem Mitarbeiter der Freiburger Polizei, der anonym bleiben will, bot die Polizistin damals ihren Vorgesetzten sofort an, mit ihrem Hund auf die Suche nach Emilie zu gehen. Doch ihre Vorgesetzten, so der Informant, verweigerten dies.

Die Polizistin wäre also nicht erst nach sechs Stunden auf die Suche nach Emilie gegangen, sondern bereits kurz nach 18.02 Uhr, als der Alarm bei der Polizei einging.

Tatsächlich fand ihr Suchhund sofort die Spur von Emilie und verfolgte diese bis ans Ufer der Saane. Im Rapport beschreibt die Polizistin den Weg des Hundes sehr genau. Doch es war Stunden zu spät. Im Dickicht des Ufers, mitten in der Novembernacht, fand sie nichts.

Einen Tag später machte ein Hund eines Waadtländer Kantonspolizisten den gleichen Weg. An diesem Tag entdeckte die Polizei ganz in der Nähe einen Schuh und Kleidungsstücke von Emilie – nicht aber das Mädchen selbst.

Richter befangen

«Emilie könnte noch leben, wenn die Polizistin sofort losgegangen wäre», ist der Informant überzeugt. Die Polizistin selbst wollte sich auf Anfrage von SonntagsBlick nicht zur Sache äussern. Statt dessen meldete sich die Kantonspolizei Freiburg mit einer schriftlichen Stellungnahme – in der sie dem Rapport der Polizistin widerspricht.

«Das Verschwinden von Emilie Fortuzi wurde der Polizei um 18.02 Uhr gemeldet», heisst es in der Stellungnahme. Und weiter: «Um 18.25 Uhr wurde der erste Hundeführer auf Platz engagiert.» Ein ausgebildeter Suchhund sei eingesetzt worden.

Den entsprechenden Rapport  will die Polizei nicht herausgeben. Doch wenn zuvor schon ein Hund eingesetzt wurde: Weshalb erwähnt das der Rapport der Polizistin nicht? Diese und weitere Fragen muss nun Oberstaatsanwalt Fabien Gasser untersuchen.

Dabei wollte er zunächst im Fall Emilie keine Untersuchung durchführen. Weil ihn das Gericht am 2.Juli dazu zwang, wird er nun tätig. Kann ein Staatsanwalt, der nicht untersuchen will, bei einem derart heiklen Fall Licht ins Dunkel bringen?

Gasser sieht darin kein Problem: «Ich bin es gewohnt, seriös zu arbeiten», sagt er. Doch bereits 2012 musste er auf Weisung des Bundesgerichts einen Fall abgeben, in dem er gegen einen Polizisten ermitteln sollte.

Das Bundesgericht bezweifelte, dass Gasser die Untersuchung unbefangen durchführte, da er das Verfahren eingestellt hatte. Auch damals musste das Bundesgericht Gasser zu einer Eröffnung des Verfahrens zwingen. Kein Wunder, verlangt Anwalt Meier, dass ein anderer Kanton den Fall Emilie untersucht.

Denn auch die Richter sind befangen: Alle zwölf ordentlichen Richter des Obergerichts sind in den Ausstand getreten – weil die Tochter der Heimdirektorin als Gerichtsschreiberin arbeitet. Anwalt Meier: «Die Familie will endlich wissen, wer für den Tod von Emilie verantwortlich ist.»

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