Tragische Serie – Politik und Gewerkschaften alarmiert
Selbstmord-Welle erschüttert Genfer Polizei

In Genf begingen in den vergangenen Jahren fünf Polizisten Selbstmord. Eine Witwe kritisiert mangelndes Fingerspitzengefühl in der Behörde.
Publiziert: 20.06.2019 um 17:51 Uhr
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Wie die «Tribune de Genève» berichtet, gab es in den letzten Jahren eine Häufung von Selbstmorden bei der Genfer Polizei. Fünf Polizisten hätten sich seit 2012 umgebracht.
Foto: Keystone

In Genf haben sich seit 2012 bereits fünf Polizisten umgebracht, berichtet die «Tribune de Genève». Das sei deutlich mehr als der Schnitt: in den vergangenen 68 Jahren habe es gesamthaft 18 Selbstmorde von Genfer Polizisten gegeben. 

Wie ist dieser Anstieg zu begründen? Der Genfer Grossrat François Lefort fragte den Staatsrat bereits vor drei Jahren, ob die Selbstmordprävention innerhalb der Polizei regelmässig überwacht werde. Danach erarbeitete die Regierung Empfehlungen, die zur Verhinderung von Krisen führen sollen, wie zum Beispiel die Stärkung des psychosozialen Diensts und bessere Begleitung der Polizisten. 

Nach Brief umgebracht

Für Marie* kommen diese Bemühungen zu spät – ihr Mann ist einer, der Suizid beging. Die Witwe ist gegenüber der Zeitung der Meinung, dass zu grosser Druck, mangelndes Zuhören und fehlendes Fingerspitzengefühl nach und nach die Moral ihres Mannes zerstört hatten. Er habe schlecht geschlafen und sich geweigert, seine Antidepressiva zu nehmen. Hinzu sei Stress im Privatleben gekommen: «Zwei Monate zuvor verlor er seinen Vater. Irgendwann wurde alles zu viel.»

Zu viel wurde es, als er einen Brief erhalten habe. Darin sei er informiert worden, dass eine Verwaltungsuntersuchung gegen ihn eingeleitet wurde. Verantwortlich dafür sei eine brutale Verhaftung im Jahr 2017 gewesen, die eine Anhörung der Staatsanwaltschaft nach sich zog. Einen Tag nach der Zustellung des Briefs habe er sich umgebracht. 

«Die Polizei war sein Leben»

Marie versteht nicht, weshalb der Brief nicht an seine Anwälte gesendet wurde. Seine Vorgesetzten hätten gewusst, dass ihr Partner mit psychischen Problemen zu kämpfen hatte und seien dagegen gewesen, dass er diesen Brief erhalte. «Die Polizei war sein Leben», sagte Marie zur «Tribune de Genève».

Als Folge seines Todes passte die Abteilung Inhalte und Prozesse solcher Zustellungen an, damit Polizisten nicht mehr «unnötig beunruhigt» sein müssten, wird ein Polizeisprecher zitiert. 

Maudet: «Schwierig, darüber zu sprechen»

Der ehemalige Bundesratskandidat und Genfer Staatsrat Pierre Maudet (FDP) gibt eine Teilschuld an den Suiziden der mangelnden Kommunikation: «Es ist äusserst schwierig über Selbstmord zu sprechen, von der Polizeihierarchie bis zur Personalkommission», wird Maudet in der Zeitung zitiert. Wann immer er versuche, das Thema anzusprechen, würden gleich die Gewerkschaften die Situation ausnutzen und über sonstige Probleme im Polizeikorps sprechen. 

Doch man scheint sich zusammenraufen zu wollen in Genf: Am 27. Mai wurde unter der Federführung des psychosozialen Dienstes eine Konferenz mit den Mitarbeitern abgehalten, um über Suizid zu diskutieren und mit Vorurteilen aufzuräumen. Die Behörden hoffen, dass diese und andere Erkenntnisse dabei helfen, die Selbstmordwelle zu beenden. (vof)

*Name geändert

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Diese Stellen sind rund um die Uhr für Menschen in suizidalen Krisen und für ihr Umfeld da:

Adressen für Menschen, die jemanden durch Suizid verloren haben

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