Ein kompetenter Mediziner, einfühlsame Erklärungen, ein zufriedener Patient. So sollte ein Arztbesuch im Idealfall ablaufen. In der Praxis von Christophe Bernard (56) in Yverdon-les-Bains VD lief es am 12. April nicht ideal.
Enriko Murseli (34) begleitete seine Mutter Nerxhivan (58) wegen ihrer Thrombose zum Gefässspezialisten. «Wir waren zum ersten Mal bei ihm. Ich ging mit, damit ich bei Unklarheiten übersetzen konnte. Ich hoffte, dass er meiner Mutter weiterhilft», sagt der Sohn. Doch statt einer Untersuchung gab es Streit im Sprechzimmer. «Als der Arzt bemerkte, dass meine Mutter kaum Französisch spricht und wir aus dem Kosovo sind, ging es los», sagt der Kellner. «Er fragte, wie lange wir schon in der Schweiz seien. Dann schrie er uns an und sagte, meine Mutter solle zuerst einen Französischkurs in der Migros-Klubschule besuchen und dann wieder kommen.»
Mutter und Sohn verlassen die Arztpraxis. Völlig geschockt und ohne Behandlung. «Ein Arzt soll doch helfen und nicht seine Patienten fertigmachen», findet Enriko Murseli.
Christophe Bernard erinnert sich gut an den Vorfall. Die Vorwürfe aber kann er nicht verstehen: «Ich war erstaunt, dass die Patientin nach 15 Jahren in der Schweiz unsere Sprache immer noch nicht beherrscht. Ich möchte mit meinen Patienten direkt sprechen, nicht via Übersetzer.»
Seit er seine Praxis 2001 eröffnet habe, sei ihm so etwas noch nie passiert: «Schon der erste Kontakt mit den beiden verlief nicht wie üblich.» Der Mediziner hat eine Vermutung: Im Wartezimmer liegt das Satiremagazin «Charlie Hebdo» auf. Er ist überzeugt, dass sich die muslimische Patientin und ihr Sohn daran störten. «Denn», so Bernard, «sie haben mich auch als Rassisten beschimpft.»
Bei der Schweizerischen Stiftung SPO Patientenschutz findet man, dass der Arzt mit seiner Patientin nicht ganz korrekt umgegangen sei. SPO-Präsidentin Margrit Kessler zeigt aber Verständnis: «Gerade bei Muslimen getrauen sich Frauen oft nicht, alles zu sagen, wenn sie von einem männlichen Familienangehörigen begleitet werden. Das ist ein echtes Problem. Insofern verstehe ich den Arzt, wenn er direkt mit der Patientin reden wollte.»
Bei Übersetzungsproblemen zwischen Arzt und Patienten gibt es eine Stelle, die unter der Woche rund um die Uhr kurzfristig weiterhilft: den Nationalen Telefon-Dolmetschdienst.
Dem Arzt Christoph Bernard tut der Vorfall mittlerweile leid. Er hat die Patientin in einem Brief um Entschuldigung gebeten. Und er macht ihr ein Angebot: «Melden Sie sich für einen neuen Termin. Ich werde Ihnen die Konsultation nicht in Rechnung stellen.»