Wer fällt die Urteile?
Blackbox Bundesgericht

Das Bundesgericht ringt seit Jahren mit Vorwürfen und Gerüchten. Wie wird die nächste Amtsperiode mit Yves Donzallaz als Bundesgerichtspräsidenten ablaufen?
Publiziert: 18.12.2022 um 09:56 Uhr
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Seit 2008 ist Yves Donzallaz Bundesrichter. Nebenbei schreibt er gerne lange Bücher über juristische Themen.
Foto: Keystone
Dren Eshrefi

Am Mittwoch wählte die Bundesversammlung Yves Donzallaz zum Präsidenten des Bundesgerichts. Vor einem Monat untersuchte SonntagsBlick, wie ernst es Donzallaz mit seinen Pflichten als Richter effektiv nimmt.

Der 61-Jährige schrieb ein 4418 Seiten langes Buch – in der Freizeit, wie er beteuert, und in freien Stunden im Büro. Er habe «im normalen Umfang gearbeitet», konterte Donzallaz Vorwürfe, auch während der Arbeitszeit an seinem Opus geschrieben zu haben.

Für Frau und Herrn Schweizer ist das höchste Gericht eine Blackbox, vergleichbar mit Algorithmen in sozialen Medien – deren Logik die Programmierenden selbst nicht mehr ganz überblicken.

Bekannt ist nur der grobe Ablauf: Die Richterinnen und Richter delegieren ihre Aufgaben in aller Regel an Gerichtsschreiberinnen und -schreiber. Die führen die sogenannte Erstbearbeitung durch, bevor das Urteil praktisch pfannenfertig zurück an die Richter geschickt wird. Übrigens: 2021 hiess das Bundesgericht lediglich 13 Prozent der Fälle überhaupt gut.

Ja, die meisten Richterinnen und Richter gehen ihrer Tätigkeit mit grosser Sorgfalt nach. Dennoch lässt es das System zu, dass ein Buchautor wie Yves Donzallaz behaupten kann, im «normalen Umfang» gearbeitet zu haben. Denn wie weit sich Bundesrichter auf das blosse Abnicken von Entwürfen anderer verlassen oder wie viel sie selbst in ein Urteil stecken, ist ein Geheimnis.

Für den Rechtsstaat aber ist diese Frage von Belang. Denn wenn vom Bundesgericht ernannte Gerichtsschreiber die eigentlichen Bundesrichter sind, stellt das die von der Verfassung gewollte Ordnung auf den Kopf.

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