Wegen Wartung und Sicherheitsrisiken
Unfreiwilliger Atom-Ausstieg

Hoppla! Die Schweiz hat keinen Atom-Strom mehr. Freiwillig ist das aber nicht passiert. In Gösgen AG muss ein Leck repariert werden. Das bietet Anlass zu einer Grundsatzdiskussion.
Publiziert: 18.08.2015 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 09.10.2018 um 17:42 Uhr
Von Christof Vuille und Michael Bolzli

Die Schweiz hat den Atomausstieg realisiert! Heute wird in unserem Land keine einzige Kilowattstunde Strom aus Atomenergie produziert.

In der Nacht auf Montag zogen die Betreiber dem AKW Gösgen AG den Stecker. Sie müssen eine Dampf­leckage überprüfen und reparieren. Der AKW-Blackout ist damit komplett.

Die Anlagen in Mühleberg BE und Leibstadt AG sind nämlich in der Jahresrevision, der Block 1 in Beznau AG steht seit März still und in Block 2 muss unter anderem der Deckel des Reaktordruckbehälters ausgewechselt werden.

Bis auf weiteres bleibt es beim atomstromlosen Zustand. Gemäss der Betreiberin dürfte das AKW Gösgen in ein paar Tagen wieder hochgefahren werden.

Anfang September wird Mühleberg wieder am Netz sein, Leibstadt erst Mitte des nächsten Monats.

Seit dem Unfall in Fukushima (Japan) vor vier Jahren streitet die Schweiz über ihre AKW. Braucht es sie überhaupt? Die Züge fahren trotz Ausfall der Produktion weiter, Licht, Fernsehen und Klimaanlagen funktionieren einwandfrei.

Im Winter brauchts mehr Strom

Dafür verantwortlich ist auch die Jahreszeit. «Im Moment reicht der Strom der Wasserkraftwerke aus», erklärt Guido Lichtensteiger vom Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen.

Nicht aber im Winter. Dann führen die Flüsse weniger Wasser, die Stromproduktion aus Wasserkraft sinkt. Kommt dazu, dass der Energiebedarf im Winter höher ist. So hoch, dass zeitweise der inländische Strom nicht reicht.

Es kommt aber auch vor, dass die Schweiz Strom exportiert, wie etwa gestern Vormittag. Am Nachmittag wurde dann wieder importiert.

Das ist Alltag im Strommarkt: Jeder Produzent wirft seinen Überschuss auf den Markt – und kauft bei Bedarf wieder ein.

Der AKW-Ausfall hat politische Sprengkraft. Im September diskutiert der Ständerat über die Energiestrategie 2050. Kernpunkt: Ausstieg aus der Atomenergie.

Der Ausfall liefert den Befürwortern neue Muni­tion. «Bereits heute ist eine atomstromlose Schweiz möglich», jubelt Grünen-Vize Bas­tien Girod.

Wäre die Versorgung denn gewährleistet? Ja, meint Girod: Die Eidgenossenschaft müsste bloss «vorübergehend etwas mehr Strom importieren». Dank Ausbau von Fotovoltaik und Windkraft könne das Land später mit Strom versorgt werden, ohne vom Ausland abhängig zu sein, glaubt der Nationalrat.

Solche Aussagen kommen bei Christian Wasserfallen, Vorstandsmitglied im Nuklearforum, nicht gut an: «Es ist absolut lächerlich, wenn linksgrüne Kreise aus diesem Zufall Profit schlagen wollen.»

FDP-Wasserfallen warnt vor Technologieverbot

Die Schweiz habe Glück, dass gerade Sommer sei. Im Winter wäre die heutige Situation ein «ernsthaftes Problem», sagt der FDP-Vizepräsident. Deshalb sei die Wasserkraft «massiv» auszubauen.

Zudem fordert der Berner Nationalrat die Kleine Kammer auf, keine zusätzlichen Regulierungen für Kernkraftbetreiber zu installieren und kein «Technologieverbot» auszusprechen.

Gespannt verfolgt auch der Bundesrat die Situation. Annetta Bundi, Sprecherin von Energieministerin Doris Leuthard (CVP), sagt, die Versorgungssicherheit sei gewährleistet. Der Ausstieg aus der Atomkraft sei «schrittweise» geplant. Bis dahin seien unsere AKW nach wie vor wichtig, «insbesondere im Winter».

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