Das Ehepaar aus Genf verliess die Unterwalliser Saleina-Hütte am frühen Morgen. «Sie waren gut ausgerüstet und erfahren», sagt Hüttenwart Roger Burri (55). Die beiden, 65 und 57 Jahre alt, waren die einzigen Gäste. «Wir sassen am Abend noch zusammen, am Morgen um 6 Uhr verabschiedete ich sie nach dem Frühstück», erinnert sich Burri.
Sie wollten über den Col des Planereuses auf rund 3000 Meter Höhe zur SAC-Hütte l’A Neuve gelangen. Dort kamen sie nie an. Ein Steinschlag traf die beiden Bergwanderer tödlich. Als ein Polizist und ein Arzt zu den beiden Toten abstiegen, wurden auch sie von Steinen getroffen. Sie hatten Glück und wurden nur leicht verletzt.
«Dieses Jahr ist es verrückt. Steine fallen von allen Bergflanken herab, der Fels bröckelt», sagt Hüttenwart Burri. Der Klimawandel lässt den Permafrost in den Alpen schmelzen, das Gestein verliert seine Festigkeit. Ganze Bergflanken sind in Bewegung und bedrohen Wege zwischen SAC-Hütten. So auch den Weg zwischen der Sciora- und der Sasc-Furä-Hütte im Bergell. 2011 ging hier, an der Nordflanke des Pizzo Cengalo, ein Bergsturz ab. Der Fels kam nicht mehr zur Ruhe.
«Wir rechnen damit, dass es hier bald zu einem noch grösseren Bergsturz kommt», sagt Heidi Altweger (59), Hüttenwartin von Sasc Furä. In diesem Jahr wurde der Weg zwischen den beiden Hütten definitiv gesperrt. Grosse Hinweistafeln machen auf die Gefahr aufmerksam. «Vorher hatten wir mit Gästen immer Diskussionen, ob man nicht doch durch das Bergsturzgebiet wandern könne, jetzt ist Ruhe», sagt Altweger.
In der Nachbarhütte verzeichnet man seit dem Bergsturz deutlich weniger Gäste, so Reto Salis (49) Hüttenwart der Sciora-Hütte.
Tatsächlich zeigen aktuelle Zahlen der Rega: Steinschlag in den Alpen wird zu einem immer grösseren Problem. So rückten die Retter 2014 bloss vier Mal wegen Steinschlagunfällen aus, in diesem Jahr waren es allein in den Monaten Juni und Juli bereits 13 Einsätze.
Auch Experten zeigen sich besorgt: Ueli Mosimann (66) vom Schweizer Alpen-Club (SAC) zieht Parallelen zum Hitzesommer 2003. Wie damals sei auch heuer die Gefahr durch herabstürzende Steine schlicht zu gross. Mosimann: «Wer sich in den Bergen bewegt, muss die zunehmende Gefahr in die Tourenplanung einberechnen – gewisse Touren kann man dann einfach nicht mehr machen.»
Der langjährige Zermatter Rettungschef Bruno Jelk (71) ist seit einem halben Jahrhundert in den Alpen unterwegs. Er hat beobachtet, wie die hohen Temperaturen dem Gebirge zusetzen. Er sagt: «Die Veränderungen in den Bergen sind schon extrem.»