Was die Drift-Szene so einzigartig macht
Wilder Haufen

Wie eine Szene aus «The Fast and the Furious»: Aufgemotzte Autos fetzen quergestellt über die Piste. Tätowierte Jungs und Girls schauen fasziniert zu. Das ist Drift, die jüngste Disziplin des Autorennsports – letztes Wochenende trafen sich die Fans in Lignières zur grossen Leistungsschau.
Publiziert: 21.08.2016 um 13:29 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 15:00 Uhr
Driften am Limit
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Fast and Furious im Jura:Driften am Limit
Christian Maurer (Text) und Philippe Rossier (Fotos)

Motoren röhren nahe an der höchstzulässigen 95-Dezibel-Grenze, Benzindampf hängt schwer in der Luft, und es riecht süsslich-ätzend nach verbranntem Gummi. Vergangenes Wochenende trafen sich auf dem Autorennkurs von Lignières im Neuenburger Jura die besten Drift-Rennfahrer Europas zum ersten Drift-Rennen der King-of-Europe-Series in der Schweiz.

In der noch jungen Autorenn-Disziplin geht es mehr um Fahrstil und Ästhetik als um Tempo und Bestzeit. «Es ist wie im Eiskunstlauf», erklärt Keiichi Tsuchiya (60), der Driften als Fahrstil in Japan erfunden hat (siehe Interview).

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Spektakel pur: Mit Tempo 100 schlittern bunte, aufgemotzte Boliden kontrolliert durch die Kurven der Autorennbahn Lignières.
Foto: Philippe Rossier

Driften ist trotzdem Autofahren am Limit. Mit Tempo 100 jagen sich zwei Autos über die Piste. Wer hinten fährt, muss sein Gefährt perfekt im Griff haben. Nicht überholen, aber jede Fahrfigur des voranfahrenden Autos genau übernehmen.

Das hats in sich. Mit Übersteuern, angezogener Handbremse und gleichzeitigem Vollgas treibt der vorne fahrende Pilot sein Auto aus der Spur. Genauer: Das Heck schmiert weg, das Auto rutscht quer zur Fahrbahn weiter in die Kurven mit Vorderrädern, die zum Gegensteuern voll in die andere Richtung eingeschlagen sind.

Das ist spektakulär – und sieht spektakulär aus. «Geil», sagt Zuschauer Rouven (27) bewundernd, «wenn man seinen Chlapf so im Griff hat.» Auch Marco geht voll mit. Der 23-Jährige driftet selber, «aber nicht auf diesem Niveau, die Fahrer hier sind um Meilen besser».

Arnaud Emery (26).
Foto: Philippe Rossier

Viele im Publikum gehören selber zur Drifterszene. Pierre Ebiner (80) aus Sion ist der Grossvater des Wallisers Arnaud Emery (26), der später in der Halb-Profi-Kategorie Pro2 als Sieger auf dem Podium stehen wird. «Ich bin natürlich wahnsinnig stolz», sagt er. Sara (17) und Nathan (18) wiederum packen als freiwillige Helfer mit an, beide haben noch nicht mal Fahrausweise.

Fachsimpeln bei Bier und Wurst

Ins abgelegene Lignières sind erstaunlich viele Menschen gepilgert, obwohl fürs Rennen kaum Werbung gemacht wurde. Entlang der Piste drängen sich rund 4500 Fans, vor den Food-Trucks bilden sich ewig lange Warteschlangen, Fünf-Dezi-Becher fürs Bier sind am frühen Samstagnachmittag bereits alle. Und auch der Greenvan, ein zur Verpflegungsstation umgebauter grüner Estafette, ist am Sonntagnachmittag leer gekauft.

«Obwohl wir extra Nachschub holten, die Leute haben XXL-Hunger», sagen Cédric (24) und Charlotte (26). Pascal Boss (39) bietet im original amerikanischen Schulbus 30 Zentimeter lange «Hot Dog New York Style» an. «680 Stück gingen weg – es hätten durchaus 200 mehr sein können.»

Überall fachsimpeln Zuschauer und Fahrer bei Bier und Hot Dogs. Driften, das wird in den Diskussionen schnell klar, ist viel schwieriger, als es aussieht. Genau darin liegt die Faszination. «Das Auto dann zu beherrschen, wenn es eigentlich nicht mehr beherrschbar ist», sagt Rennpilot Simon Wüthrich (26).

Allein, die Autos! Sie sind liebevoll aufgemotzt, bunt bemalt und mehr als oft behelfsmässig repariert. Ein weites Feld für den Erfindergeist der Fahrer. Keine Seltenheit, dass Kabelbinder einen Kotflügel oder eine Stossstange halten. Doch unter dem Lack der Boliden wirken 400 bis 500, manchmal sogar 700 oder 800 Pferdestärken. Diese Power gilt es im Zaum zu halten.

BMW gegen BMW.
Foto: Philippe Rossier

Manche sind Kraftpakete ab Fabrik, etwa der 3er BMW aus der E30- und E36-Baureihe, wenn möglich in der bereits getunten M-Version mit 321 PS im 3,2-Liter-Motor. Beliebt sind auch Coupés von Nissan und Toyota, die Besitzer pimpen deren Motoren heftig auf, tauschen mitunter ein Vier-Zylinder-Aggregat gegen eine doppelt so grosses Ami-Modell ein. «Diese Kraft brauchts», wirft ein Pilot in die Runde, «um den Wagen in der Spur zu halten.»

Das ist zentral. Denn ein idealer Run ist nicht nur schnell, sondern technisch perfekt. «Eine Fahrt in einem Guss, ohne Korrekturen muss es sein», sagt Meister Tsuchiya. Dafür gibts Noten – wie im Eiskunstlauf. Die Benotung ist kompliziert. Es zählen Drift-Winkel, Durchschnittsgeschwindigkeit, Nähe zur Ideallinie und schliesslich der generelle Eindruck, den der Fahrer oder die Fahrerin hinterlassen hat. «Der Eindruck ist das am meisten subjektive Kriterium», schreibt dazu das Reglement, deshalb haben die Punktrichter auch die Reaktion des Publikums zu berücksichtigen.

Sogar die Socken der Fahrer müssen feuerfest sein

Marin Morier (29) ist Kopf der Schweizer Drifter-Szene. Er ist selber Drift-Rennfahrer und Präsident der vor einem halben Jahr gegründeten Swiss Drift Association. Diese organisiert auch das Rennen in Lignières. Der Mann wirkt wie ein gutmütiger Teddybär. «Wir sind eine Bande von Kumpels», sagt er. «Wir fahren zwar gegeneinander, helfen uns aber auch.»

Morier hat selber schon vor einem Renntag die ganze Nacht am lädierten Autos eines Kollegen mitgeschraubt – und am folgenden Tag sein sicheres Rennen in den Sand gesetzt. Und diesen Sommer gewährte er einem Freund Gastrecht in seiner topausgerüsteten Werkstatt, damit dieser an seinem Gefährt werkeln konnte. Sein eigenes Auto, ein 3er BMW E36 mit gut 400 PS, stellte er derweil in die Garage des Freundes – und diese ging samt Moriers Auto in Flammen auf.

Aus dem Mutterland des Driftens: Ein Nissan Skyline im Paddock.
Foto: Philippe Rossier

Doch auch er hat Hilfe erhalten. Eine Freundin lieh ihm ihren Nissan Skyline. «So kann ich hoffentlich meinen dritten Platz in der Togue-Wertung halten», sagt er ohne jegliche Bad-Feelings. Sein nächstes Auto übrigens: ein rund 30-jähriger 5er BMW, dem er ein Chevy-Corvette-8-Zylinder-Motor einpflanzen will. Den Wagen, ohne Motor, bekommt er gratis von einem, der vom Feuerpech gehört hat.

Den meisten Rennboliden sieht man ihre bewegte Vergangenheit an. Überall Beulen. 20, manchmal 30 Jahre und ein paar 100 000 Fahrkilometer liegen hinter ihnen. Sie werden ausgeweidet, damit möglichst wenig Gewicht übrig bleibt. Ohne die Türverkleidungen und wenn die seitlichen Glasdurch Plastikscheiben ersetzt sind, fallen schnell mal 300 Kilo weg.

Im Gegenzug kommt reichlich Sicherheitsequipment in die Kabinen. Die Drifter gehören zwar noch nicht zur FIA, dem internationalen Automobilrennsportverband. Für Rennen übernehmen sie aber dessen Sicherheitsstandards. Und die sind hoch: Überrollbügel und Rennsitze mit 5-Punkt-Gurten sind Pflicht, verlangt werden auch Selbststoppmechanik für den Motor, damit er nicht im Fall eines Treibstofflecks explodieren kann.

Und die Fahrer selber sind eingekleidet wie Formel-1-Piloten: Alle müssen Helme tragen, aber auch feuerfeste Kleider, vom Overall und den Handschuhen bis zu Unterwäsche, den Socken und Schuhen. «Damit kommt man ganz schön ins Schwitzen. Im Auto wirds bis 70 Grad heiss», sagt Denise Ritzmann (26) und kippt sich den Rest ihrer Mineralwasserflasche in den Nacken.

Die Ingenieurin aus Stuttgart ist eine der besten Frauen im Drift-Zirkus. Auch beim Rennen in Lignières räumte sie ab: erster Platz bei den Frauen, und diverse Barpreise von Sponsoren, etwa dem Pneu-Hersteller, der den besten mit seinem Gummi fahrenden Piloten bis zu 3000 Euro pro Rennen zahlt.

Es gilt: Einer für alle, alle für einen

An der Rennpiste liegen zuhauf Pneus und Ersatzteile, trotzdem ist Driften (noch) keine Materialschlacht. «Es zählt nicht das beste Material, sondern die beste Fahrtechnik», sagt Yves Klossner (27). Und tatsächlich: Nicht immer siegen Profis mit den teuersten Autos und Budgets im sechsstelligen Bereich. Dazu zählt auch Simon Wüthrich (26) aus Belp BE, der mit seinem 30-jährigen Toyota Corolla das beste Qualifikationsrennen fuhr.

Simon Wüthrich (26).
Foto: Philippe Rossier

Trotzdem, billig ist das Hobby nicht. «10'000 Franken muss man fürs Auto mindestens rechnen», sagt Fahrer Jan Blaser (28). Dazu kommen die Reisen zu den Rennen in ganz Europa mit den Autos auf einem Anhänger, denn selber dürfen sie nicht mehr auf die Strasse. «Für den Aufwand kommen schnell zusätzliche 1000 Franken zusammen», sagt Blaser. Das ist konservativ gerechnet, auch wenn der Fahrer und seine Helfer im Zelt oder im Camper übernachten und zum Znacht im Fahrerlager einen Cervelat auf den Grill legen.

Danielle Murray (32) ist aus Irland nach Lignières angereist, sie ist eine der besten Fahrerinnen. Doch kurz vor dem Start macht ihr Auto schlapp. Trotzdem kann sie mitfahren, ein Schweizer leiht ihr sein Auto. «Einfach so», verkündet der Speaker, «wenn sie schon den weiten Weg auf sich genommen hat, soll sie auch fahren können.»

Diese Haltung zeichnet die Drifterszene aus. «Gewinnen wollen wir auf der Strasse – und nicht, weil einer nicht starten kann», sagt Morier.

Driften ist ein ritterlicher Kampf um die Ehre, der Beste zu sein.

Dem Erfinder von Drift-Rennen gehts um die Beherrschung des Fahrzeugs

Mister Tsuchiya, Sie sind Vater der Motorsportart Drift. Was genau macht sie aus?
Keiiche Tsuchiya: Es ist wie Eiskunstlaufen, einfach mit Autos.

Klingt poetisch, aber können Sie das etwas präzisieren?
Im Grunde gehts darum, das Auto mit Übersteuern quergestellt durch eine Kurve schlittern zu lassen und trotzdem die Beherrschung über das Fahrzeug nicht zu verlieren.

Was jeder Autofahrer versucht, wenn er auf Schnee rutscht.
Genau, es geht um die Fahrzeugbeherrschung. Darum ist in unserem Wettkampf nicht nur das Tempo und die kürzeste Fahrzeit wichtig, sondern auch die Ästhetik der Fahrt – und der Fahrstil des Piloten. Eleganz und Beherrschung des Autos in eigentlich unbeherrschbaren Situationen.

Wie geht das?
Die Fahrer müssen eine vorgegebene Spur fahren. Und natürlich möglichst lang und dabei extrem driften, ohne mit Gaspedal, Steuerrad oder Bremse nachzukorrigieren. Gefahren wird in sogenannten Battles, immer zwei Fahrer gegeneinander, die sich in einem Cupsystem gegenseitig eliminieren. Der bessere Fahrer kommt weiter, bis in den Final. Eine Jury bewertet jede Fahrt mit Punkten.

Wie kommt man dazu, einen neuen Autorennsport zu erfinden?
Ich war bereits vorher Rennfahrer in Japan. Wenn ich damals noch mehr oder weniger unabsichtlich durch die Kurven gerutscht bin, war das Publikum jeweils begeistert. Darum bin ich weiterhin so gefahren, aber mit Absicht.

Es geht also nur ums Spektakel.
Am Anfang, in den 1980er- und 1990er-Jahren, gings tatsächlich um die grosse Show. Aber seit 2005 ist Drift ein Motorsport, der nach genau definierten Regeln abläuft.

Welche sind das?
Die Punktrichter bewerten das Tempo, den Driftwinkel und die Eleganz. Und die Autos und Fahrerausrüstungen müssen die Sicherheitsnormen des internationalen Automobilverbands FIA erfüllen.

Wie gut sind Schweizer Drifter?
Jedes Land stellt fünf oder sechs Spitzenfahrer – auch in der Schweiz gibts gute Fahrer.

Wie wird man ein guter Drifter?
Erst den Fahrausweis machen. Dann ein geeignetes Auto kaufen und viel üben. Aber nicht auf der Strasse, damit das klar ist!

Interview: Christian Maurer

«Eiskunstlaufen mit Autos»: Drift-Legende Keiiche Tsuchiya (60).
«Eiskunstlaufen mit Autos»: Drift-Legende Keiiche Tsuchiya (60).
Philippe Rossier

Mister Tsuchiya, Sie sind Vater der Motorsportart Drift. Was genau macht sie aus?
Keiiche Tsuchiya: Es ist wie Eiskunstlaufen, einfach mit Autos.

Klingt poetisch, aber können Sie das etwas präzisieren?
Im Grunde gehts darum, das Auto mit Übersteuern quergestellt durch eine Kurve schlittern zu lassen und trotzdem die Beherrschung über das Fahrzeug nicht zu verlieren.

Was jeder Autofahrer versucht, wenn er auf Schnee rutscht.
Genau, es geht um die Fahrzeugbeherrschung. Darum ist in unserem Wettkampf nicht nur das Tempo und die kürzeste Fahrzeit wichtig, sondern auch die Ästhetik der Fahrt – und der Fahrstil des Piloten. Eleganz und Beherrschung des Autos in eigentlich unbeherrschbaren Situationen.

Wie geht das?
Die Fahrer müssen eine vorgegebene Spur fahren. Und natürlich möglichst lang und dabei extrem driften, ohne mit Gaspedal, Steuerrad oder Bremse nachzukorrigieren. Gefahren wird in sogenannten Battles, immer zwei Fahrer gegeneinander, die sich in einem Cupsystem gegenseitig eliminieren. Der bessere Fahrer kommt weiter, bis in den Final. Eine Jury bewertet jede Fahrt mit Punkten.

Wie kommt man dazu, einen neuen Autorennsport zu erfinden?
Ich war bereits vorher Rennfahrer in Japan. Wenn ich damals noch mehr oder weniger unabsichtlich durch die Kurven gerutscht bin, war das Publikum jeweils begeistert. Darum bin ich weiterhin so gefahren, aber mit Absicht.

Es geht also nur ums Spektakel.
Am Anfang, in den 1980er- und 1990er-Jahren, gings tatsächlich um die grosse Show. Aber seit 2005 ist Drift ein Motorsport, der nach genau definierten Regeln abläuft.

Welche sind das?
Die Punktrichter bewerten das Tempo, den Driftwinkel und die Eleganz. Und die Autos und Fahrerausrüstungen müssen die Sicherheitsnormen des internationalen Automobilverbands FIA erfüllen.

Wie gut sind Schweizer Drifter?
Jedes Land stellt fünf oder sechs Spitzenfahrer – auch in der Schweiz gibts gute Fahrer.

Wie wird man ein guter Drifter?
Erst den Fahrausweis machen. Dann ein geeignetes Auto kaufen und viel üben. Aber nicht auf der Strasse, damit das klar ist!

Interview: Christian Maurer

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