Der damalige Ankläger: «Das ist mir völlig neu»
Walter Beller sah, wie Tschanun seine Morde vorbereitete

Baupolizeichef Günther Tschanun ermordete vor dreissig Jahren den Kreisarchitekten M. F.* vor Walter Bellers Augen. Drei weitere Morde folgten. Im Interview mit SonntagsBlick erwähnte Beller neue Details, die den Verlauf der damaligen Verhandlungen erheblich beeinflusst hätten.
Publiziert: 11.04.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 11:30 Uhr
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Walter Beller zeigt, wie Tschanun die Todesschüsse abgab.
Foto: Thomas Lüthi
Viktor Dammann und Flavia Schlittler

Dreissig Jahre lang hat Baulöwe Walter Beller (67) zum traumatischen Erlebnis in den Räumen der Zürcher Baupolizei geschwiegen. Vor seinen Augen erschoss der Baupolizeichef Günther Tschanun (damals 45) am 16. April 1986 den Kreisarchitekten M. F.* (†50) mit einem Revolver. Er war das erste von vier Opfern.

«Der Lauf war fünf Zentimeter von seinem Kopf entfernt», sagt Walter Beller. F. sei auf die Pläne gefallen, die er mit ihm besprechen wollte. «Noch zwei Pulsschläge, dann schoss Blut aus seiner Schläfe.» Dieses Bild konnte der Bauunternehmer nie vergessen.

Im Interview mit SonntagsBlick erwähnte Walter Beller ein brisantes Detail, das bisher unbekannt war. Die Ermittlungen ergaben damals, dass Tschanun nach dem Laden seines Revolvers vom Kopierraum direkt ins Büro von M. F. gegangen war.

Doch Beller sagt jetzt, Tschanun habe das Büro des Kreisarchitekten zuerst ausgekundschaftet. Zu diesem Zeitpunkt habe er, Beller, noch vor dem Büro gewartet. Tschanun sei an ihm vorbeigelaufen, habe ohne zu klopfen die Türe geöffnet und ins Büro gespäht. Danach sei er wieder gegangen.

Wollte Tschanun zuerst die Situation überprüfen, um sicher zu sein, dass sein Opfer M. F. tatsächlich im Büro war?

Alt Staatsanwalt Marcel Bertschi (80), damaliger Ankläger, ist erstaunt. «Diese Aussagen von Herrn Beller sind für mich völlig neu. Wäre mir diese Darstellung des Augenzeugen bekannt gewesen, hätte ich sie sicher in meine Anklageschrift eingebaut. Meine Mordanklage wäre durch dieses vorgängige Auskundschaften Tschanuns noch verstärkt worden.»

Weshalb Beller damals nicht genauer befragt wurde, kann sich Bertschi nicht erklären. Nach Walter Bellers Erinnerung wollte die Polizei nach der Tat nicht einmal mit ihm reden. Wäre dem Zürcher Obergericht Bellers Geschichte bekannt gewesen, hätte der Fall möglicherweise keinen Umweg über das Bundesgericht machen müssen. Das Auskundschaften des späteren Tatorts hätte als überlegtes, planmässiges Handeln im Sinne einer Mordqualifikation gewertet werden können.

Zwei der drei Oberrichter hielten Tschanun nur der mehrfachen vorsätzlichen Tötung für schuldig. Für Staatsanwalt Bertschi und die Familien der Opfer war Tschanun jedoch ein kaltblütiger, skrupelloser Mehrfachmörder. Dieser Ansicht war später auch das Bundesgericht. Das Obergericht musste sein Verdikt korrigieren.

* Name der Redaktion bekannt

«Es holt Walter unbewusst immer wieder ein»

Zürich – Vor 19 Jahren lernten sich Baulöwe Walter Beller (67) und seine heutige Gattin und Society-Lady Irina (43) kennen und lieben. Er habe ihr sehr schnell davon erzählt, wie er das Blutbad, welches Günther Tschanun vor 30 Jahren anrichtete, erlebt und überlebt habe. «Wir haben uns von unseren Ängsten und Phobien erzählt. Ich ihm von meiner Flugangst, er mir von der Hinrichtung», sagt sie. «Es machte mich sehr traurig, dass er so etwas erleben musste.» Sie glaubt, dass ihr Gatte den Albtraum verarbeitet hat. «Doch ich glaube auch, dass es ihn unbewusst immer wieder einholt.» Beller sei sehr schreckhaft. «Wir waren bei einer Modeschau, bei der es als Überraschungseffekt einen lauten Knall gab. Er ist total zusammengezuckt.» Bellers Erlebnis ist mit ein Grund, weshalb das Paar das Leben in vollen Zügen geniesst. «Man weiss nie, wann es zu Ende ist.»

Irina Beller
Irina Beller
Thomas Lüthi

Zürich – Vor 19 Jahren lernten sich Baulöwe Walter Beller (67) und seine heutige Gattin und Society-Lady Irina (43) kennen und lieben. Er habe ihr sehr schnell davon erzählt, wie er das Blutbad, welches Günther Tschanun vor 30 Jahren anrichtete, erlebt und überlebt habe. «Wir haben uns von unseren Ängsten und Phobien erzählt. Ich ihm von meiner Flugangst, er mir von der Hinrichtung», sagt sie. «Es machte mich sehr traurig, dass er so etwas erleben musste.» Sie glaubt, dass ihr Gatte den Albtraum verarbeitet hat. «Doch ich glaube auch, dass es ihn unbewusst immer wieder einholt.» Beller sei sehr schreckhaft. «Wir waren bei einer Modeschau, bei der es als Überraschungseffekt einen lauten Knall gab. Er ist total zusammengezuckt.» Bellers Erlebnis ist mit ein Grund, weshalb das Paar das Leben in vollen Zügen geniesst. «Man weiss nie, wann es zu Ende ist.»

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