Es sind scheinbar harmlose Lutschtabletten, fast jeder hat sie schon einmal gegen Halsweh eingenommen. Doch was die meisten nicht wissen: Die rezeptfrei erhältlichen Tabletten enthalten neben schmerzstillenden Mitteln auch Antibiotika.
Das ist mehr als fragwürdig. Denn: Gegen virale Infekte, die oft mit Symptomen wie Schnupfen oder Halsweh einhergehen, sind die antibakteriell wirkenden Stoffe unwirksam. Gleichzeitig aber können sich bei Menschen durch die unkontrollierte Einnahme von Antibiotika Resistenzen entwickeln. Das heisst: Wenn sie einmal wirklich Antibiotika benötigen, wirken diese nicht mehr. Tatsächlich wirken immer mehr Antibiotika nicht mehr gegen bakterielle Infekte. Nach Operationen entwickeln sich dann Entzündungen, denen Ärzte nichts mehr entgegenzusetzen wissen.
Bis 2050 Todesursache Nummer eins
Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt, dass sogenannte multiresistente Keime bis 2050 weltweit zur Todesursache Nummer eins gehören werden. In seinem Strategiepapier über Antibiotikaresistenzen verlangte der Bundesrat 2015 deshalb, dass die Frage von antibakteriell wirkenden Lutschtabletten und Resistenzbildungen in einem unabhängigen Forschungsprojekt geklärt wird. Auch die abtretende Solothurner SP-Nationalrätin Bea Heim (73) thematisierte in einem Vorstoss bereits 2017 die Frage der Resistenzbildung durch rezeptfrei erhältliche Antibiotika.
Die Antwort des Bundesrats damals: Man kläre diese Frage im Rahmen eines Nationalforschungsprojekts. Doch die Leiterin des Programms sagt heute, die Frage sei nicht geklärt worden, da kein entsprechendes Projekt eingegeben wurde.
Umstrittene Aussage
Laut der Zulassungsbehörde Swissmedic sind in der Schweiz zehn Präparate mit dem antibakteriellen Wirkstoff Tyrothricin zugelassen, zwei weitere mit dem Antibiotikum Gramicidin – sie sind ohne Rezept in Apotheken zu kaufen. Weil sie nur an der Oberfläche wirkten und vom Körper nicht aufgenommen würden, seien sie für die Resistenzbildung nicht relevant. Doch diese Aussage ist unter Medizinern umstritten.
Politikerin Heim fordert, dass zumindest die Apotheken bei der Abgabe von antibakteriellen Halswehtabletten auf deren Unwirksamkeit bei viralen Infekten und auf die Problematik einer Resistenzbildung hinweisen. «Denn eines ist klar», so Heim, «insgesamt muss der Antibiotikaverbrauch gesenkt werden.»
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