Es ist der 5. Oktober 1994. Nach einem Brand auf einem abgelegenen Bauernhof im freiburgischen Cheiry machen Polizisten eine schreckliche Entdeckung: Hinter einer Geheimtür im Untergeschoss liegen 23 Leichen. Männer, Frauen, Kinder. In sternförmiger Anordnung, mit Kutten bekleidet, in einem See aus Blut. Kurz darauf brennen auch drei Chalets in Granges-sur-Salvan VS. Dort liegen 25 Leichen. Und schliesslich brennt ein Haus im kanadischen Morin Heights. Fünf Leichen. Wie viele der insgesamt 53 Toten sich selbst erschossen haben und wie viele hingerichtet wurden, ist bis heute nicht geklärt. Fest steht: Es war der grösste Massenselbstmord der Schweizer Geschichte. Die Toten waren alle Mitglieder der Sonnentempler-Sekte.
In einem Abschiedsbrief stand zu lesen: «Wir verlassen diese Erde ohne Bedauern, um in ganzer Klarheit und Freiheit eine Dimension der Wahrheit und des Absoluten zu finden.» Auf den Weg dorthin hatte sie ihr Oberhaupt Joseph Di Mambro (†70) geschickt. Ihm war es gelungen, seine Anhänger in eine solche Ekstase zu predigen, dass sie ihm tatsächlich glaubten, nur auf diesem Weg zum rettenden Planeten Sirius zu gelangen. Gerade noch rechtzeitig vor dem angeblichen Weltuntergang. Auch Di Mambro brachte sich 1994 um. 1995 wiederholte sich das Selbstmord-Drama im französischen Grenoble: 16 Tote. Und 1997 in Kanada: erneut fünf Tote. Die Sekte gibt es heute nicht mehr. Sie hat sich selber dahingemordet.
Kinderschänder und fliegende Yogis
Nach dem Massaker der Sonnentempler geriet auch Paul Baumann (†94), genannt «Vatti», noch einmal in den Fokus der Öffentlichkeit. Da ging es mit ihm und seinen Methernithanern allerdings längst bergab. «Vatti» hatte die Sekte in den 1960er-Jahren gegründet, in der Gemeinde Linden im bernischen Emmental. Er behauptete, Sprachrohr Gottes zu sein, und verkündete Offenbarungen in der Rolle Salomons. Seinen Anhängern versprach er, sie würden nach dem Weltuntergang ins Paradies gelangen. Bis dahin mussten sie in der Sektengemeinschaft leben und strikte Enthaltsamkeit üben: kein Alkohol, kein Tabak, kein Sex. Der Guru selbst hielt sich allerdings nicht daran. 1976 zogen ihn zwei seiner ehemaligen Anhängerinnen vor Gericht. Der Vorwurf: Unzucht mit Minderjährigen. Eine von ihnen sagte, er habe sie mit einem Schraubenzieher entjungfert. «Vatti» musste für sieben Jahre ins Gefängnis. Heute leben nur noch wenige Anhänger des Kinderschänders. Methernitha stirbt aus.
Hätten Sonnentempler und Methernithaner auf Maharishi Mahesh Yogi (†90) gehört, hätten sie sich ihre Ängste vor dem Weltuntergang schenken können. Der indische Guru für Transzendentale Meditation (TM) hatte für die Rettung der Welt nämlich eine einfache Formel bereitgestellt, die er schon seit den 1970er-Jahren in Seelisberg UR verkündete: den Maharishi-Effekt. Der bemisst sich nach der Anzahl TM-Meditierender. Bei genügender Beteiligung seien Frieden und Wohlstand für die Welt garantiert. Damit begeisterte der Guru Millionen weltweit. Auch Popstars wie die Beatles oder die Beach Boys sowie Hollywood-Stars wie Mia Farrow oder Clint Eastwood meditierten fleissig mit. 1983 verliess der Guru Seelisberg. Zurück blieben ein paar Hundert Anhänger, die dort bis heute ein Ayurveda-Zentrum betreiben – und jene umständlichen Hüpfer praktizieren, die sie «yogisches Fliegen» nennen.
Einen Draht zum Übernatürlichen nahm auch der Gärtner Paul Kuhn (†82) für sich in Anspruch. Nachdem ihm die heilige Maria erschienen war, gründete er in Dozwil TG die Michaelsvereinigung. 1988 hatte er besonders apokalyptische Visionen und prophezeite die Errettung aller Kinder vor dem Weltuntergang. Ein BLICK-Reporter beobachtete damals tagelang das Treiben der Sekte, von einem Dozwiler Striplokal aus. Als er schrieb, Sektenguru Kuhn habe die Ankunft eines Ufos auf den Muttertag angekündigt, kam es zwar nicht zu einer Ufo-Landung, dafür zu Ausschreitungen eines wütenden Mobs, der mit Rauchpetarden auf die Sektenmitglieder losging und von der Polizei kaum gebändigt werden konnte.
Prügelattacken und Gruppensex
Den Mitgliedern des «Vereins zur Förderung der Psychologischen Menschenkenntnis» (VPM) konnten solche Dorfpossen nicht mehr als ein müdes Lächeln abringen. Das wäre der rabiaten Psychosekte zu trivial gewesen. Der Verein, 1986 von Annemarie Buchholz-Kaiser (†74) gegründet, war auch in Deutschland und Österreich aktiv und produzierte Schlagzeilen am Laufmeter. Sogar der Deutsche Bundestag beschäftigte sich mit ihr. Die Sektierer schreckten vor Rufmord und körperlicher Gewalt nicht zurück. Den Sektenexperten Hugo Stamm schlugen sie nach einem kritischen Bericht kurzerhand brutal zusammen. Mehrere Hundert Prozesse wurden vom VPM losgetreten. Nachdem er fast alle davon verloren hatte, stand der Verein vor dem finanziellen Ruin. 2002 wurde er aufgelöst.
Noch immer aktiv ist die zwielichtige Kirschblütengemeinschaft, auch nach dem Tod ihrer zentralen Figur, des Psychiaters Samuel Widmer (†68). Geschlechtsverkehr zwischen Therapeut und Patientin? Soll man nicht ausschliessen, gab Sektenmitglied Kasia Weidenbach noch letzten Sommer zu Protokoll. Gruppensex mit LSD und Ecstasy? Alltag bei den Kirschblütlern. Plastisch geschildert von einer Aussteigerin in einem Dok-Film des Bayrischen Rundfunks: «Man liegt aufeinander, und dann kommt es zum Äussersten. Den Orgasmus hat man auf dem, auf dem man gerade zufällig landet.» Lustige freie Liebe ist das nicht. Verschiedene Aussteigerinnen berichten von traumatischen Erfahrungen. Gegen mehrere Mitglieder der Kirschblütler wurde Anzeige erstattet.
Doch die Schweizer Sektengeschichte geht auch nach dem Ende dieser bizarren Gruppen weiter: Vampiristen, neugermanische Neonazis oder Voodoo-Zauberer stehen bereit, um für neue Schlagzeilen zu sorgen.
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