Interview mit BLICK-Gerichtsreporter Viktor Dammann
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Er schrieb unzählige Stories:Interview mit BLICK-Gerichtsreporter Viktor Dammann

Viktor Dammann zieht aus 40 Jahren Arbeit als BLICK-Gerichtsreporter Bilanz
Auf dem Boulevard des Bösen

Viktor Dammann zieht in einem neuen 
Buch Bilanz aus bald 40 Jahren Arbeit als Gerichtsreporter für den BLICK. Wer ist der Mann hinter den Schlagzeilen? Ein Porträt.
Publiziert: 17.03.2019 um 11:20 Uhr
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Aktualisiert: 21.10.2022 um 10:56 Uhr
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BLICK ist dabei: Wenn etwas passiert, ist Viktor Dammann schnell vor Ort, wie hier in einer nachgestellten Szene an der Zürcher Langstrasse.
Foto: Philippe Rossier
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Daniel ArnetRedaktor Gesellschaft / Magazin

An den Schläfen zeigen sich Lachfalten, auf den Lippen zeichnet sich ein Schmunzeln ab: Viktor Dammann (69) ist offensichtlich ein fröhlicher Mensch. Dabei haben seine graugrünen Augen viel Elend gesehen. Als Polizei- und Gerichtsreporter für die Boulevardzeitung BLICK berichtete er während Jahrzehnten über üble Machenschaften, Missbräuche und Morde – über 3000 Fälle.

«Das Böse im Blick» heisst das Buch, das nun bei Orell Füssli erscheint und anschaulich den abwechslungsreichen Arbeitsalltag von Dammann zeigt. Ein gutes Dutzend berühmte Fälle der jüngeren Schweizer Kriminalgeschichte, die er begleitete, bilden die Rahmenhandlung – vom Gangsterduo Deubelbeiss/Schürmann über den Tierarzt Gabor Bilkei, der wegen Tötung seiner Gattin einsass, bis zu Sabine T., die ihren Mann mit Giftpilzen meuchelte.

«Das Böse im Blick», ein scharfsichtiger und doppelsinniger Buchtitel. Denn damit Dammann das Böse in die Zeitung bringen konnte, musste er es zunächst bei der Recherche und später vor Gericht betrachten. Keine einfache Aufgabe. «Ich versetze mich nie in die Lage des Opfers», sagt Dammann. «Das ist ein Schutzmechanismus.» Würde er den nicht einschalten, ginge es ihm angesichts der geschilderten Taten schlecht.

«Das ist wie der schweifende Blick», sagt Dammann. Eine Methode, die er sich in den 1970er-Jahren als Pressefotograf für die Fotoagentur Keystone aneignete. Damals musste er neben Prominenten wie Sophia Loren (84), Muhammad Ali (1942–2016) oder den Stones viele Unfälle ablichten. An den sogenannten «Schwarzen Montag» der Zürcher Polizeigeschichte, den 18.  Januar 1971, erinnert er sich noch genau: In Kloten stürzt ein Passagierflugzeug ab und fordert 45 Tote, gleichentags stossen in Herrliberg-Feldmeilen zwei Züge frontal zusammen, wobei sechs Menschen sterben.

«Wenn ein Land keine Justiz hat, dann gilt das Faustrecht»

Nur ein paar Wochen später in diesem Katastrophenjahr brennt es in der Psychiatrieklinik Burghölzli in Zürich. 28 Patienten ersticken. Dammann ist wieder im Einsatz. «Der Kripo-Chef sagte mir, ich solle ihm folgen, dürfe aber nicht fotografieren», erzählt er. «Da stiegen wir buchstäblich über die Toten.» Die lagen, bereits mit Nummern am grossen Zeh versehen, verteilt auf dem Boden.

Und wo kommt der schweifende Blick zum Einsatz? «Ob im Burghölzli oder anderswo: Ich schaute nie genau hin», sagt er. «Ich fotografierte nie eine Leiche und wartete immer, bis alles zugedeckt war.» Was zum Selbstschutz dient, weckt bei der Polizei Vertrauen: Während sie andere Fotografen wegschickt, darf Dammann bleiben, denn er hält sich an die Regeln und wartet, bis alles abgeriegelt ist.

Die Arbeit der Polizei und Justiz nicht behindern, sie im Gegenteil allenfalls befördern: Diesem Arbeitsethos bleibt Dammann treu, als er die Kamera gegen die Schreibmaschine tauscht – Ende der 1970er-Jahre als Reporter bei Roger Schawinskis Migros-Boulevardzeitung «Die Tat», wo er die «blutige Ecke» mitbetreut, seit März 1980 als Reporter für den BLICK. Denn im Gegensatz zur kriminellen achtet Dammann die Staatsgewalt. «Wenn ein Land keine Justiz hat, dann gilt das Faustrecht», sagt er mit Überzeugung.

Als er 2010 den Zürcher Journalistenpreis bekommt, attestiert ihm sogar die Konkurrenz, dass sich Dammann die Auszeichnung «mit Disziplin und guten Nerven» verdient habe. Und man zollt ihm Respekt, weil er trotz Vorwissen über die skandalösen Zustände in einem Zürcher Pflegeheim die Strafuntersuchung nicht durch einen Primeur im BLICK behinderte und erst nach der Verhaftung der «Quälschwestern» gleichzeitig mit anderen ­Zeitungen berichtete. Die Pflegerinnen hatten demente Patienten gedemütigt und gefilmt.

«Chefkommissar» nennt ihn die «Wochenzeitung», und die «Basler Zeitung» schreibt vom «letzten Boulevard-Kommissar» – das Ansehen von Viktor Dammann in der Branche ist hoch. Er gilt nicht als Boulevard-Gurgel, sondern als integrer Journalist, der akurat prüft, was er schreibt. «Wenn mir jemand etwas ­erzählt, nehme ich aus dem Wulst der Behauptungen ­jeweils ein kleines Kuchenstück raus und betrachte das genauer», erklärt Dammann seine Arbeitsweise. «Wenn dort etwas nicht stimmt, dann stimmt vermutlich die ganze Geschichte nicht.»

Dammann wirkt selbst nach all den Jahren nicht ­abgebrüht und kann heute noch staunen wie ein kleiner Junge, zeigt seinen Arbeitskollegen Unterlagen zu einem Gerichtsfall, schüttelt ungläubig den Kopf und sagt: «Das gits doch nöd!» Die Menschen scheinen nichts zu lernen, fallen immer wieder auf dieselbe Masche rein – ein Schmunzeln kann er sich nicht verkneifen. Die nächste BLICK-Story steht auf dem Prüfstand.

Dammann hat ein riesiges Netzwerk von Informanten – «aus der Unter- und der Oberwelt». Mehr will er nicht verraten. Dammann redet aber auch mit einfachen BLICK-Lesern, die bei ihm wegen eines persönlich ­erlittenen Unrechts Hilfe suchen. Wer ihm eine Information anvertraut, darf eine seriöse Beurteilung erwarten. Und ein Gespräch mit Dammann gehört zum Recht auf freie Meinungsäusserung – so urteilte 2006 höchstinstanzlich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg.

Ein Sieg für die Pressefreiheit, ein Sieg für Dammann. Nomen est omen, möchte man sagen, schliesslich heisst er Viktor: Viktor, der Sieger. Zuvor hatte ihn das Bundes­gericht in Lausanne noch wegen Anstiftung zur Amtsgeheimnisverletzung verurteilt – das, weil er sich bei einer Justizsekretärin nach Vorstrafen der Fraumünsterposträuber von 1997 erkundigte.

Nicht immer geht es beim In­formationsaustausch um derart schwerwiegende Taten. Zuletzt steckte ihm ein Anwalt den Fall einer Katze, die bei einer ärztlichen Nasenbehandlung Verbrennungen erlitten hatte. «Das Tierspital hat unser Büsi grilliert!», steht am 19.  Februar 2019 im BLICK. 
Was dem Leser der Schlagzeile trotz der Tragik der Geschichte ein Schmunzeln entlockt, ist Dammann ernst: «Das ist wirklich so passiert», sagt er mit Nachdruck. «Und wenn die Katzenbesitzerin es nicht so formuliert hätte, wäre es nicht so geschrieben worden.»

Seiner Frau erzählt er kaum was, weil sie sofort Bilder sieht

Nein, Dammann ist kein Zyniker, der seine Informanten für eine gute Schlagzeile verheizt. Aber er weiss, dass eine gute Geschichte nur mit einem noch besseren Titel ihre Leser findet. Deshalb haben viele der über 5000 Dammann-Artikel grossartige Überschriften und sind mal poetisch («Sushi, Sex & Sühne»), mal spielerisch («Messermann wütete im Klingenpark»), mal witzig («Einbeinige muss fünf Jahre sitzen»), mal tiefsinnig («Schleudertrauma: War alles nur Schwindel?»).

Womit er die ganze Schweiz informiert und unterhält, davon erzählt er seiner Frau Nicole (52) kaum etwas. «Ich merkte schnell, dass ihr die Verbrechen viel näher gehen als mir», sagt Dammann. «Sie sieht sofort Bilder.» Es habe ihr schon Mühe bereitet, dass er als ­Gerichtsreporter 1998 während des Babyquäler-Prozesses dieselbe Luft wie der Täter atmen musste.

1988 bringen gemeinsame Freunde das Paar an der Chilbi in Wädenswil ZH zusammen. «Nicoles Schlagfertigkeit faszinierte mich damals sofort», sagt Dammann. Seither leben sie am linken Zürichseeufer. An dieser sogenannten Pfnüselküste ist Viktor Dammann schon aufgewachsen: Am 15. März 1950 kommt er als Einzelkind eines Magaziners der Zürichsee Schifffahrtsgesellschaft und der Inhaberin eines Einfrau-Glättereibetriebs in Oberrieden ZH zur Welt.

«Wir hatten kein Auto, aber als praktisch Erste im Quartier einen Fernseher», sagt Dammann. «Bei den grossen Samstagabendkisten war die ganze Nachbarschaft bis zum Dorfpolizisten in unserer Stube versammelt, sicher 15  Personen.» Parallel führt Vik, wie ihn sein Umfeld nennt, mit einem Freund durchs eigene Programm. «Wir gründeten eine Kasperli-AG und verlangten 20 Rappen Eintritt.» Ob Dammann damals den Polizisten oder den Räuber spielte, weiss er nicht mehr.

Dann kommt die Fussball-Phase. «Mein Idol war Fritz Künzli», sagt der damalige FCZ-Fan. «Ich hätte nie gedacht, dass ich später einmal mit ihm um die Häuser ziehen würde.» Um sein Taschengeld aufzubessern, trägt Dammann jeden Morgen den «Tages-Anzeiger» aus. Er schneidet für sich Artikel aus, Verbrechen und Unfälle interessieren ihn besonders. «Ich habe zu Hause noch die Originalausgabe mit der Schlagzeile zur Kennedy-Ermordung», sagt Dammann.

Das reale Grauen faszinierte ihn schon immer mehr als die Fiktion, obwohl er als Jugendlicher die ­Jerry-Cotton-Reihe verschlang und später die Wallander-Krimis von Henning Mankell (1948–2015). Doch einem wirklichen Mörder ­gegenüberzustehen, ist nochmals eine andere Dimension. Deshalb schreibt Dammann in seinem Buch: «Das Böse begegnete mir erstmals in der Person des Karl Angst.»

Der ausgebildete Koch bereitet Gerichte nur noch zu Hause zu

Angst stand 1969 vor Gericht, weil er seinen Geschäftspartner umgebracht hatte. Ein biederer, freundlich lächelnder Herr. «Dieser Angst war der Götti eines Schulkollegen von mir», sagt Dammann. Machte ihm der Anblick eines Täters manchmal Angst? Einmal musste er vis-à-vis eines Angeklagten sitzen, «ein richtiger Killerblick». Und mit dem Babyquäler würde er kein Interview führen wollen. Aber sonst hat Dammann keine Probleme. Er ist überzeugt: «Mörder faszinieren uns, denn sie sehen so aus wie jedermann.» Der schlimmste Verbrecher könne eine sympathische Seite haben: «Beispielsweise liebt er Hunde oder kocht gut.»

Beim Zubereiten von Gerichten kennt sich Dammann aus, schliesslich ist Koch sein erlernter Beruf. Mit Jacky Donatz (67) ging er in die Gewerbeschule. Doch im Gegensatz zu Spitzen­gastronom Donatz übte Dammann seinen ­Beruf nie richtig aus: «Das ist ein Knochenjob, in dem man praktisch nichts verdiente.»

Heute kocht er nur noch privat zu Hause mit seiner Frau. «Wir bereiten viele Gerichte nach arabischen Rezepten zu, Lamm- oder Fischcurry – eher einfach, aber mit den besten Zutaten.» Billigfleisch kommt ihm nicht ins Haus. Anschliessend essen sie gemeinsam, reden über Gott und die Welt – nur selten über Dammanns Arbeit. Die Wohnung ist Tabuzone. «Meine Frau, die als Personalleiterin bei der Stadt Zürich selber sehr engagiert ist, hat das Böse ausgesperrt», sagt er.

An seinen Schläfen zeigen sich Lachfalten, und auf den Lippen zeichnet sich ein Schmunzeln ab.

Viktor Dammann, «Das Böse im Blick – Mein Leben als Polizei- und Gerichtsreporter», Orell-Füssli-Verlag; das Buch ist ab 22. März im Handel

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Lesen Sie hier, wie der Viktor Dammann (69), Doyen der Schweizer Polizei- und Gerichtsreporter, einen spektakulären Fall nochmals aufrollt – die Mordserie des Tunesiers Abdelaziz B. (26) und seiner Komplizin Blondie in den 80er Jahren.

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