Montag, 21. Dezember 2015, gegen 22 Uhr: Eine Gruppe junger Männer betritt das Casino Zürich im Ober-Haus an der Gessner-Allee 3. Sie zeigen Personalausweise vor, werden durchgelassen in die Glitzerwelt.
SonntagsBlick-Recherchen zeigen: Einer von ihnen ist Thomas N. (33) – das System erfasst seinen Namen und das Geburtsdatum. Begleitet wird er von Fussballkollegen. N. ist administrativer Leiter der Seetal Selection, eines Verbunds von FC Sengen und FC Sarmenstorf.
Zwölf Stunden zuvor hat der gut aussehende junge Mann, der sich im Casino amüsieren will, in Rupperswil AG ein Blutbad angerichtet. Er hat Carla Schauer (†48), ihre Söhne Davin (†13) und Dion (†19) sowie Simona (†21), die Freundin des älteren Sohnes, auf brutalste Weise getötet. Und Geld erpresst: 9850 Franken und 1000 Euro hob die Mutter ab, während N. ihre Familie in seiner Gewalt hatte. Als sie zurückkam, ermordete er alle vier.
Bereits letzte Woche wurde bekannt: Am Abend der Tat ass N. mit Kollegen aus seiner Fussballmannschaft in einem Zürcher Steakhouse. Jetzt ist klar: Es war das Grillrestaurant «George» beim Casino Zürich.
Verzockte er seine 10'000-Franken-Beute?
Anschliessend vergnügte sich der Killer mit seinen Kollegen beim Glücksspiel. Wie viel verzockte er von den 10'000 Franken, die er am Morgen von Carla Schauer erpresst hatte? Das Casino Zürich will sich auf Anfrage nicht dazu äussern. «Aus Datenschutzgründen können wir keine Auskunft erteilen», heisst es dort nur.
Doch das Umfeld von N. bestätigt, dass er am Abend nach der Tat zum Spielen nach Zürich gefahren ist. Keiner der Fussballkollegen ahnte, dass sie mit einem Vierfachmörder im Ausgang waren.
Thomas N. wahrte auch nach der unglaublichen Tat seine perfekt normale Fassade. Vorgeben, jemand zu sein, der er nicht war – diese Kunst beherrschte er.
Den Kollegen beim Fussball erzählte er, er habe gerade sein Medizinstudium abgeschlossen. Doch an keiner Universität der Schweiz finden sich Hinweise auf einen Medizinstudenten mit dem Namen Thomas N. Im E-Mail an eine Hundezüchterin, das SonntagsBlick vorliegt, schreibt er: «Ich habe Geschichte und Politik studiert und mache (...) die Ausbildung, um als Lehrer arbeiten zu können.»
Doch auch an den pädagogischen Hochschulen des Landes finden sich keine Hinweise auf ihn.
Kollegen und Bekannte beschreiben die frühe Jugend des Vierfachmörders. «Er war ein fröhliches Kind, war oft draussen im Garten», sagt eine Nachbarin. Mit Fremden habe sich der Bub aber schwergetan. «Er spielte nur mit seinem grossen Bruder, nie mit anderen Kindern.»
In der Primarschule fiel Thomas N. weder positiv noch negativ auf. Als Teenager besuchte er die Bezirksschule in Lenzburg AG, dann die Neue Kantonsschule Aarau. «Er machte nie Probleme», sagt ein Schulfreund. «Aber er zog sich immer mehr zurück. Am Ende der Kanti-Zeit war er ein Einzelgänger.»
Bilder von damals zeigen N. mit fröhlichen Mädchen. Thomas N. lacht auf den Bildern nie. Keiner aus dem Umfeld mag sich erinnern, dass er je eine Freundin hatte.
Seine Abschlussarbeit verfasste N. über Terrorfürst Osama Bin Laden (1957–2011). Der Inhalt sei nicht bedenklich, sagt ein Mitautor. «Thomas verherrlichte weder Gewalt noch Bin Laden.» Die Schule hält die Arbeit zurück, um sie der Staatsanwaltschaft zu übergeben.
Nach der Matur suchte N. vergeblich nach seiner Berufung. Er wollte Medizin studieren. «Doch er scheiterte am Numerus clausus», sagt ein Jugendfreund. «Dann versuchte er es in Bern mit Rechtswissenschaften.» Doch auch in diesem Fach hält es N. nicht lange.
Woher hatte Thomas N. sein Geld?
Thomas N. lebte bei seiner Mutter. Woher er Geld zum Leben hatte, ist unklar. «Vermutlich musste ihn die Mutter durchfüttern», sagt eine Nachbarin.
Arge Geldprobleme hatte N. offenbar noch nicht. 2000 Franken gab er für einen Scooter aus, auf dem er sich von seinen Hunden ziehen lassen konnte. «Er achtete penibel auf jedes Detail», erinnert sich der Verkäufer. «Aber er war ein angenehmer Kunde, weil er den gesamten Betrag schon im Voraus bezahlte.»
Für seine Hunde war N. nichts zu teuer. Schon in der Kanti-Zeit besass er einen Alaskan Malamute. «Der Hund kommt zum Schlafen rein, kann aber bis zu diesem Zeitpunkt raus, wie es ihm gefällt», schrieb er der Züchterin. Er gehe zur Hundeschule, trainiere das gemeinsame Fahren mit dem Scooter.
Wie sehr er in seine Hunde vernarrt war, bewies Thomas N. auch nach der unfassbaren Tat. Nur 48 Stunden danach lud er Fotos auf Facebook, die zeigen, wie er mit ihnen kuschelt und herumalbert, verschickte Weihnachtsgrüsse.
Er tat, als sei nichts geschehen. Genoss den Abend im Zürcher Casino mit seinen Kollegen. Was wirklich in Thomas N. vorging, weiss niemand. Ob er seine Tat bereut, sich bei den Hinterbliebenen entschuldigen möchte?
Diese Frage wollen weder die Staatsanwaltschaft noch die Verteidigerin des Mörders beantworten.