Nina*, Ardiana*, Teuta* und Asdren* haben es sich gemütlich gemacht auf einer der Sitzinseln im «Shoppi Tivoli». Die 15-jährigen Teenager würden sich nach der Schule jeweils immer hier treffen und gemeinsam abhängen. Vor allem im Winter, wenn es draussen kalt ist. Heute scheint die Sonne. Die Umgebung um das Shoppingcenter sieht deswegen nicht einladender aus.
Die meisten Hochhäuser direkt gegenüber stammen aus den 60er- und 70er-Jahren. Sie sind teilweise heruntergekommen. Da das Konkubinat in Zürich damals verboten war, zog es viele Zürcher ins nahegelegene aargauische Spreitenbach, wo es erlaubt war, in «wilder Ehe» zu leben.
Alles wird gefilmt und auf Snapchat geteilt
Asdren war bei der Schlägerei dabei, die am vergangenen Wochenende zwischen Jugendlichen eskalierte. «Ich habe natürlich nicht mitgemacht.» Ob jemand versucht habe die Jugendlichen zu trennen? «Das war zu gefährlich. Man hätte schnell selber drankommen können.» Aber immerhin würde er nie Videos von solchen Auseinandersetzungen machen. Das fände er blöd. «Heute wird alles, was man macht, gefilmt und auf Snapchat geteilt», erklärt Ardiana.
«Du musst nicht mal nach draussen gehen, um zu wissen, was die anderen machen.»
«Wir haben nichts gegen Dietikon»
Das Handy müssen sie während des Unterrichts abgeben, weil einige Schüler Videos von den Lehrern gemacht haben. «Das fanden die Lehrer nicht lustig», kichern alle einstimmig.
Die vier Freunde haben nichts gegen Dietikon ZH, betonen sie. Aber es gäbe schon einige, die so denken und unbedingt «die Krasseren sein wollen».
Die bildhübsche Nina mit ihren langen dunkelblonden Haaren hatte zum Beispiel einen «sehr guten Kollegen», der es nicht mochte, wenn sie nach Dietikon ging: «Weil er nicht wollte, dass mich die Jungs aus Dietikon sehen.»
«War das ein Albaner?», fragen wir nach. Lautes Gelächter bricht aus.
«Ja», antwortet Nina verschämt.
Deutsche Rapper dienen als Vorbilder
Territoriale Rivalität unter jungen Männern sei «uralt», sagt der Integrationsexperte Thomas Kessler. Das habe nichts mit sozialer Schwäche oder Migrationshintergrund zu tun. Adliswil ZH gegen Langnau am Albis ZH habe er selber als Kind erlebt. Die «West Side Story» sei damals ihr filmisches Vorbild gewesen, fügt der Experte hinzu.
Die Vorbilder der heutigen Jugendlichen mit Migrationshintergrund heissen dagegen oft Mero, Azet oder Capital Bra. Allesamt Rapper aus Deutschland, die tatsächlich in Ghettos aufgewachsen sind und teilweise auch Gefängnisstrafen abgesessen haben. Jeder Einzelne von ihnen identifiziert sich mit seinem eigenen Ghetto und seinem Herkunftsland.
In seinem neusten Hit «Kamehameha», der in knapp zwei Tagen über 1,5 Millionen Aufrufe alleine auf Youtube erzielt hat, rappt Azet, der ursprünglich aus dem Kosovo stammt: «Ja, dieses Zeug kommt von dort, wo ich wohn. Ich nehm einen Zug und flieg hoch bis zum Mond. (...) Leb mein Leben unter Druck, seit ich denken kann. Los, hol mir deine Jungs, wir sind da. F**k den Knast, mir egal. Was für Resozialisierung? Dieser Staat hat versagt. F**k die Richter, die Cops, die Staatsanwaltschaft.» Dabei steht er mit einer Schar ernst in die Kamera guckender Männer vor hohen Wohnblöcken, wie sie es auch in Spreitenbach gibt.
Jungs wollen gefordert werden
«Wissen Sie», sagt Kessler zu den Songzeilen, «nicht nur Jungs mit Migrationshintergrund, auch Schweizer Jungs wollen an ihre Grenzen gebracht werden. Die wollen beispielsweise im Turnen körperlich gefordert werden, bis sie verschwitzt und todmüde sind.»
Asdren bestätigt das. Seine Klasse habe mit den Mädchen Turnen. Er habe nichts gegen seine Mitschülerinnen, aber es ist halt anders mit ihnen. Da müsse man immer aufpassen, zum Beispiel den Ball nicht zu fest zu schlagen.
«Im Turnen mal Ringen zu üben, wäre cool. Aber meistens spielen wir nur Fussball.
Das ist langweilig.»
Man gehe völlig falsch mit den Jungs vor, betont Kessler.
Die Schweiz hat keine Ghettos
In der Schweiz jedoch von Ghettos zu sprechen, wäre eine Dramatisierung der Situation, hält er fest. «Was man aber sagen muss, ist, dass einzelne Quartiere und Wohnblöcke stark betroffen sind von sozialen Problemen.»
Haben die Jungs denn keine anderen Möglichkeiten, sich zu treffen? «Im Sommer sind wir meistens nach dem Unterricht in der Schule und hängen halt da ab oder spielen Fussball.» Organisiert denn die Schule nichts? «Doch schon, aber meistens machen das die Lehrer und unterrichten zum Beispiel Tennis. Aber wir wollen die natürlich nicht auch noch in der Freizeit sehen», erzählen die Teenager.
Klimawandel nicht wirklich ein Thema
Und was ist mit dem Klimawandel? Ist das etwas, was sie interessiert? Werden sie an den kommenden Klima-Demos teilnehmen?
Asdren meint bestimmt: «Ich fahr ja noch nicht Auto. Das betrifft mich doch gar nicht.» Teuta korrigiert ihn: «Sicher betrifft dich das! Es geht ja um die Umwelt und die Auswirkungen auf unser zukünftiges Leben. Das haben wir alles in der Schule gehabt. Wir dürfen sogar freinehmen, wenn wir an der Demo teilnehmen wollen!»
«Was? Keine Schule? Demo? Darf man dann Strassen sperren und Autos anhalten?
Hey Alte, chumm gömmer!»
*Namen geändert