Grüezi, mein Name ist ... Ich möchte etwas Gutes für Ihre Gesundheit tun. Kennen Sie die heilende Wirkung von Haifischextrakt?»
Mehr als 40-mal pro Stunde wählt der Computer für Ronny M.* die Nummer von Schweizer Haushalten an. Sein Ziel hat ihm der Chef des Callcenters klar vorgegeben: so viel wie möglich verkaufen, das Gegenüber am anderen Ende der Leitung überrumpeln, damit es zu allem Ja sagt – auch dazu, Haifischextrakt im Wert von mehr als 100 Franken zu ordern.
Verkaufsterror am Telefon für Krankenkassenverträge, Zeitschriftenabos, Gesichtscremes, Gewürzkapseln oder Lebensversicherungen. Die aggressiven Werber wollen alles Mögliche an die Kunden bringen. Die Zahl ihrer Anrufe steigt kontinuierlich – und damit auch die Zahl der Beschwerden: 35000 Fälle sammelten Konsumentenschutz und Staatssekretariat für Wirtschaft seit 2012. Und das, obwohl im April 2012 das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb angepasst wurde.
Callcenter, die an der Grenze zur Illegalität operieren, schert dies wenig. Konsumenten berichten, dass sie bis sechsmal pro Tag von Werbern angerufen werden – obwohl der Vermerk «Bitte keine Werbeanrufe» im Telefonbuch steht.
«Den Stern im Telefonbuch mussten wir absichtlich missachten», sagt Ronny M. «Hatte ich einmal jemanden am Apparat, durfte ich nicht lockerlassen.» Er pries Haifischextrakt als Wundermittel, das Würzpulver Kurkuma als krebsheilend an – obwohl dies wissenschaftlich gesehen Unsinn ist.
«Die Kunden werden absichtlich belogen», sagt Ronny M. «Ein Nein durften wir nicht akzeptieren.»
Jedes Gespräch werde aufgezeichnet. «Der Chef sitzt dir den ganzen Tag im Nacken. Du musst verkaufen, sonst fliegst du.»
30 Franken pro Stunde zahlt das Callcenter seinen Mitarbeitern, hinzu kommt eine Erfolgsbeteiligung. Jeder Telefonverkäufer hat ein Tagesziel, meist zwischen 400 und 500 Franken. «Ist das erreicht, darfst du nach Hause gehen», sagt der 25-Jährige. «Sonst musst du so lange weitertelefonieren, bis du den Umsatz hast.»
Gezielt hiess ihn der Chef im Callcenter, ältere Menschen anrufen. «Ich habe meine Produkte sogar in Altersheimen verkauft», sagt Ronny M. «Die Senioren verstehen oft gar nicht genau, worum es geht. Sie sagen schnell Ja. Das mussten wir ausnutzen.»
Die Konsumenten sind meist machtlos. Das Seco sei zwar bemüht, «die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen», sagt Sprecherin Isabel Herkommer. Doch dies sei oft unmöglich, weil die meisten Callcenter aus dem Ausland operieren. In der Schweiz haben sie meist nur einen Briefkasten.
Hat das Callcenter aber seinen Sitz in der Schweiz, können die Behörden mehr tun. Künftig wollen Seco und Bundesamt für Kommunikation die Verkaufsterroristen härter anfassen. «Es braucht diverse Gesetzesanpassungen, nicht nur beim Fernmeldegesetz», sagt Sara Stalder, Geschäftsleiterin des Konsumentenschutzes. Bis Ende Jahr will der Bundesrat einen Entwurf in die Vernehmlassung schicken.
10000 Franken Busse für ein Callcenter
Dass es heute schon möglich ist, die aggressiven Telefonwerber zur Rechenschaft zu ziehen, zeigt das Beispiel der Versandgroup Holding AG aus Lutzenberg AR. Sie betreibt Callcenter in Zürich, St. Gallen, Basel, Luzern, Thun BE, Winterthur ZH und Buchs SG. Im Dezember 2014 hat die Staatsanwaltschaft Luzern den Besitzer der Firma zu einer Busse von 10000 Franken verurteilt – wegen Widerhandlung gegen das Lebensmittelgesetz: Mitarbeiter hatten Nahrungsergänzungsmittel und Kosmetika als Heilmittel angepriesen.
Auch im Kanton St. Gallen droht dem Inhaber der Versandgroup Holding AG Ungemach: «Wir ermitteln gegen ihn wegen Missachtung des Stern-Eintrags. In den nächsten Monaten werden wir Anklage erheben», bestätigt Andreas Baumann, Sprecher der Staatsanwaltschaft St. Gallen.
Der Inhaber war für eine Stellungnahme nicht erreichbar. Für Ronny M. war nach kurzer Zeit im Callcenter klar: «Das hier ist die Hölle.» Er versuchte sich zu wehren und die Leute nicht mehr hereinzulegen. «Doch der Chef hat mich sofort korrigiert. Als Mensch gehst du dabei kaputt.»
Nach ein paar Monaten hatte Ronny M. genug. «Ich wollte keinen mehr anlügen», sagt er. Absichtlich verkaufte er weniger – und bekam prompt die Kündigung. Heute arbeitet er als Abteilungsleiter in einem Industriebetrieb. «Dort zwingt mich zum Glück niemand dazu, andere Leute reinzulegen.»