Unterwegs mit Kontrolleuren der BLS
Von Passagieren beschimpft und bedroht

Kontrolleure werden immer wieder von renitenten Passagieren bedroht. Wie gehen sie mit solchen Situationen um? SonntagsBlick begleitete vier Mitarbeiter der BLS bei einer Stichprobenkontrolle.
Publiziert: 01.02.2020 um 23:49 Uhr
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Aktualisiert: 03.02.2020 um 15:45 Uhr
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Die BLS registriert seit zwei Jahren einen erheblichen Anstieg von Beschimpfungen und Bedrohungen gegen ihr Personal.
Foto: Philippe Rossier
Cyrill Pinto (Text), Philippe Rossier (Fotos)

Als vier Kontrolleure der BLS an diesem Mittwochnachmittag beim Bahnhof Biel BE in Richtung Unterführung gehen, stürmt ein junger Mann von hinten auf sie zu und brüllt: «Bisch eigentlich stolz uf di Bruef?» Daniel* dreht sich um und erkennt den Mann. Zehn Minuten zuvor hat er ihn ohne gültiges Billett erwischt und ihm einen Zuschlag ausgestellt.

Leiter dieser Stichprobenkon­trolle der BLS ist Toni*. Daniel, Bruno* und Andrea* sind mit ihm in den Zügen unterwegs. Kann jemand kein Ticket vorweisen, gibts einen Zuschlag. Seit einem Jahr werden Schwarzfahrer zusätzlich in einem zentralen Register erfasst.

Die erste Tour führt von Bern nach Freiburg. «Grüessech mite­nand, Fahruswiiskontroue», ruft einer aus der Gruppe in den Waggon. Sobald der Zug fahrplanmässig abgefahren ist, darf niemand mehr per Handy einen Fahrausweis kaufen.

Der Regionalzug ist gut besetzt, fast alle Fahrgäste haben ein gültiges Billett. Bei einer älteren Dame hält Andrea kurz inne. «Sie hätten ja eigentlich ein Halbtax»: Die Frau hatte am Automaten offenbar unter Zeitdruck ein Billett zum vollen Preis gelöst. Die Kontrolleurin erstattet ihr den halben Fahrpreis zurück – bar auf die Hand. «Oh, merci vielmal!», bedankt sich die Passagierin.

Eritreer nimmt Zuschlag gelassen

Zwei Eritreer zeigen ihre Papiere, die sie als Asylsuchende ausweisen. Der eine hat eine Bescheinigung dabei, die es ihm erlaubt, den ÖV im Kanton Freiburg gratis zu benutzen. Sein Freund wohnt in Bern – und hat keine Bescheinigung. Ein Zuschlag wird fällig. «Er nimmts gelassen», kommentiert Bruno.

In Düdingen FR steigen Bruno und seine Kollegen aus. Sie wollen den aus Freiburg kommenden Regionalzug überprüfen. Doch der ist wegen einer technischen Störung ausgefallen: Die Wartenden auf dem Perron werden auf den nachfolgenden Regio-Express vertröstet – und die Kontrolleure fahren lieber in Richtung Freiburg weiter. «Würden wir trotzdem eine Kontrolle durchführen, würden wir die Leute nur hässig machen», sagt Toni.

Die Kontrolleure lieben ihren Beruf. Nur wenn sie am frühen Samstag- oder Sonntagmorgen eine Stichprobe durchführen müssen, haben sie ein beklemmendes Gefühl im Bauch. Dann bauen sich schon mal alkoholisierte Jugendliche drohend vor ihnen auf. Manche Kontrolleure schlafen vor einer solchen Tour nicht gut.

Tatsächlich registriert die BLS seit zwei Jahren einen erheblichen Anstieg von Beschimpfungen und Bedrohungen gegen ihr Personal. Immerhin haben Fälle von Körperverletzung im gleichen Zeitraum abgenommen. Was auch damit zu tun haben könnte, dass die Bahn ihr Personal entsprechend schult.

«Wir haben mit unserer Kampagne namens ‹Ein Schritt zurück› gute Erfahrungen gemacht», sagt BLS-Sprecherin Tamara Traxler. Die Taktik, in einer angespannten Situation Eskalationen gezielt zu vermeiden, gebe den notwendigen Spielraum, um eine Situation im Gespräch zu klären.

Sie bleiben anonym

Weil es vorkommt, dass die Kontrolleure von renitenten Passagieren bedroht werden, tragen sie keine Namensschilder. Und in diesem Text wollen sie nur mit ihren Vornamen erscheinen. Aber Gewalt und Drohungen stehen in ihrem Alltag nicht im Vordergrund.

Die vier können auch von heiteren Episoden berichten. Da gab es beispielsweise jene junge Frau, die bei einer Kontrolle am frühen Sonntagmorgen «wie die Sau tat», wie sich Bruno ausdrückt.

Er habe daraufhin den Vater der 16-Jährigen per Telefon aus dem Bett geklingelt. «Der ging zuerst an die Decke und behauptete, seine Tochter schlafe in ihrem Zimmer», berichtet Bruno. «Ich bat ihn, nachzusehen – das Bett war natürlich leer.» Der Vater entschuldigte sich und holte die ungezogene BLS-Kundin mit dem Auto ab.

Rund 40 Mitarbeiter arbeiten für die BLS als Kontrolleure. «Für die Stichproben bekommen wir Sektoren zugeteilt, in denen wir frei entscheiden, wo und wann wir Kontrollen durchführen», sagt Toni. Alles andere muss jedoch akribisch festgehalten werden: Wie viele Personen wurden kontrolliert? Wie viele ohne Ticket ertappt? Wie viele hatten ein Billett, das nur teilweise gültig war?

Am Nachmittag geht es nach Biel. Zwischen Lyss BE und Studen BE kramt eine junge Frau in ihrem Portemonnaie. «Ich ha doch eis ghaa!»

Kontrolleur Toni zeigt viel Geduld. Nach einer Minute ergebnisloser Suche, spricht er aus, was die Frau schon lange weiss: «Heiter keis Billiet? De tuets mer leid!»

Er notiert Name, Adresse, Telefonnummer. Dann stellt er ein Formular für eine Zuschlagszahlung aus. Am Ende ihrer Tour hat die Gruppe fünf Züge mit 250 Fahrgästen kontrolliert.

Zwölf Formulare mussten sie ausstellen, weil Passagiere ohne gültigen Fahrausweis unterwegs waren.

* Name bekannt
«Du huere Sau!»

Kontrolleure der öffent­lichen Transportmittel haben einen harten Alltag. Sie erleben Beschimpfungen, Drohungen, sogar körperliche Angriffe. Einer dieser Vorfälle wird am Donnerstag vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona verhandelt. SonntagsBlick liegt die Anklageschrift vor.

Bei einer Kontrolle in der S 7 von Zürich nach Rapperswil SG wies die SBB-Mitarbeiterin nach eigenen Angaben eine Passagierin an, ihre Füsse vom Sitzpolster zu nehmen – was die junge Frau auch tat.

Die Kontrolleurin infor-mierte die damals 18-jährige 
Sina B.*, theoretisch könne sie ihr eine Busse über 55 Franken auferlegen, weil Schuhe auf dem Sitzpolster als Verschmutzung gelten.

«Ja, sicher, du huere Sau!», schrie die Frau gemäss Aus­sage der Kontrolleurin. Dann habe ihr die Angreiferin einen Schlag in den Bauch versetzt, sie geschubst und den Zug in Männedorf ZH verlassen.

Ende August erhielt Sina B. wegen Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte sowie wegen Beschimpfung 
einen Strafbefehl auf Bewährung.

Sie habe bei einer Probezeit von zwei Jahren eine Geldstrafe von 1200 Franken zu bezahlen. Zudem wurden ihr eine Busse von 200 Franken und die Erstattung der Ver­fahrenskosten auferlegt.

Gegen diesen Entscheid legte die Beschuldigte Einsprache ein: Sina B. will «die respekt­lose Dame» weder beschimpft, noch ihr einen Schlag in den Bauch versetzt haben.

Deshalb muss sich nun das Gericht in Bellinzona mit dem Vorfall beschäftigen.

Für den Fall, dass sich die Vorwürfe nicht per Video beweisen liessen, droht die inzwischen 19-Jährige mit einer Gegenklage.  

Kontrolleure der öffent­lichen Transportmittel haben einen harten Alltag. Sie erleben Beschimpfungen, Drohungen, sogar körperliche Angriffe. Einer dieser Vorfälle wird am Donnerstag vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona verhandelt. SonntagsBlick liegt die Anklageschrift vor.

Bei einer Kontrolle in der S 7 von Zürich nach Rapperswil SG wies die SBB-Mitarbeiterin nach eigenen Angaben eine Passagierin an, ihre Füsse vom Sitzpolster zu nehmen – was die junge Frau auch tat.

Die Kontrolleurin infor-mierte die damals 18-jährige 
Sina B.*, theoretisch könne sie ihr eine Busse über 55 Franken auferlegen, weil Schuhe auf dem Sitzpolster als Verschmutzung gelten.

«Ja, sicher, du huere Sau!», schrie die Frau gemäss Aus­sage der Kontrolleurin. Dann habe ihr die Angreiferin einen Schlag in den Bauch versetzt, sie geschubst und den Zug in Männedorf ZH verlassen.

Ende August erhielt Sina B. wegen Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte sowie wegen Beschimpfung 
einen Strafbefehl auf Bewährung.

Sie habe bei einer Probezeit von zwei Jahren eine Geldstrafe von 1200 Franken zu bezahlen. Zudem wurden ihr eine Busse von 200 Franken und die Erstattung der Ver­fahrenskosten auferlegt.

Gegen diesen Entscheid legte die Beschuldigte Einsprache ein: Sina B. will «die respekt­lose Dame» weder beschimpft, noch ihr einen Schlag in den Bauch versetzt haben.

Deshalb muss sich nun das Gericht in Bellinzona mit dem Vorfall beschäftigen.

Für den Fall, dass sich die Vorwürfe nicht per Video beweisen liessen, droht die inzwischen 19-Jährige mit einer Gegenklage.  

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