Der Rettungshelikopter Bell 429 ist gerade von einem Einsatz im Unterwallis zurück, als der Alarm eingeht.
Lolita Lauber nimmt den Anruf entgegen. Per Funk alarmiert sie die Heli-Crew: «Einsatz am Zwillingsgletscher. Eine Person verletzt, Robi ist unterwegs.» Pilot Daniel Riesen (41) lässt die Turbinen an, Rettungssanitäter Dominik Imhof (25) und Arzt Jürgen Knapp (39) erwarten ihn auf der Basis Zermatt.
Nach fünf Minuten ist auch Bergrettungsspezialist Robi Andenmatten (46) an Bord der Maschine. Unterwegs besprechen sie das Vorgehen: «Wo ist es genau?», fragt Andenmatten. Imhof: «Beim Zwillingsjoch, am Castor.»
Als sich der Helikopter am Zwillinggletscher entlang in die Höhe schraubt, sieht Pilot Riesen die Gruppe: «Da unten sind sie!» Die drei Männer haben ihre Rucksäcke abgelegt, einer macht das Y-Zeichen für Yes, wir brauchen Hilfe. Der Pilot bleibt Zentimeter über dem Gletscher, Arzt und Rettungsspezialist springen hinaus, Riesen hebt langsam ab.
Der Bergsteiger fühlt sich schwach, hat Kopfschmerzen, ihm ist schlecht. «Typische Symptome der Höhenkrankheit, da gibts nur eins: ab ins Tal», sagt der Arzt zum Patienten. Die Seilschaft hat um zwei Uhr nachmittags erst den halben Aufstieg hinter sich.
«Wollt ihr nicht auch mit uns ins Tal?», fragt Robi Andenmatten. Die zwei lehnen ab. Was die Zermatter Bergretter da noch nicht wissen: Sie haben die beiden Alpinisten als Letzte lebend gesehen.
Die Luftretter kommen immer dann zum Einsatz, wenn Verletzte nicht schnell genug per Ambulanz abtransportiert werden können. Und das ist im gebirgigen Wallis oft der Fall: 1724 Einsätze flog Air Zermatt im letzten Jahr – mehr als je zuvor. Oft transportieren die Spezialisten erschöpfte Berggänger, oft können sie nur Tote bergen.
Doch immer sind sie so schnell wie möglich in der Luft. Denn, so Notarzt Jürgen Knapp: «Wir wissen nie, was uns erwartet – ist jemand in Lebensgefahr, zählt jede Sekunde!»
An diesem Samstag Ende August sind die Retter in Zermatt fast ununterbrochen im Einsatz. Dabei fliegen sie immer wieder erschöpfte Bergsteiger zur nächsten Hütte. «Taxiflüge» nennen die Retter diese Einsätze.
Nach einer ruhigen Nacht geht am Morgen um 7.09 Uhr der Notruf eines Bergführers am Pollux ein. Am Castor hat er zwei abgestürzte Alpinisten gesichtet. Robi Andenmatten hebt mit dem Rettungsheli ab. Oben angekommen, sehen sie, dass das Unglück auf der italienischen Seite geschah. Retter aus Aosta sind ebenfalls am Ort des Unglücks und bergen die beiden Leichen.
Die Zermatter Retter hegen sofort einen schrecklichen Verdacht. Waren das die zwei Bergsteiger aus Deutschland, die sie gestern am Zwillingsgletscher vom Flug ins Tal überzeugen wollten?
Wenige Stunden später bestätigt sich: Die beiden Abgestürzten waren die Kollegen des geretteten Bergsteigers vom Zwillingsgletscher.
Insgesamt verlieren in den Bergen rund um Zermatt an diesem Wochenende sechs Alpinisten ihr Leben, zwei weitere werden ein paar Tage darauf am Bietschhorn von den Zermatter Rettern tot geborgen.
«Es ist schon tragisch», sagt Bergrettungsspezialist Andenmatten: «Aber wir können den Bergsteigern nur anbieten, zu uns in den Heli zu steigen. Dazu zwingen können wir sie nicht.»
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