Ist Tiefencastel für die Evakuierten eine Alternative?
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Augenschein vor Ort:Ist Tiefencastel für die Evakuierten eine Alternative?

Umsiedlung nach Tiefencastel
«Im Vergleich zu Brienz ist das hier wirklich ein Loch»

Die Brienzerinnen und Brienzer sind in grosser Sorge - wo werden sie in den nächsten Jahren leben? Eine Möglichkeit ist die Umsiedlung nach Tiefencastel. Die «Talsohle» steht für viele aber gar nicht hoch im Kurs. Blick macht sich ein Bild vom Bündner «Schattenloch».
Publiziert: 22.11.2024 um 12:58 Uhr
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Aktualisiert: 26.11.2024 um 12:10 Uhr
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Tiefencastel (GR) in der Gemeinde Albula ist von vielen Bergen umgeben und liegt deshalb oft im Schatten.
Foto: Fabian Fuhrer

Wenig Sonnenlicht, der Tankstellenshop ist gleichzeitig der Dorfladen und draussen auf den Strassen hat es kaum Menschen, dafür viel Durchfahrtsverkehr. Der Bündner Ort Tiefencastel ist in der Bevölkerung nicht gerade als Idyll bekannt. Doch genau hierhin könnten bald rund 100 Personen aus dem seit Sonntag evakuierten Brienz ziehen. Am Dienstag präsentierte die Gemeinde Albula ein Konzept, das vorsieht, dass in Alvaneu Wohnraum für 70 Personen geschaffen wird, in Tiefencastel für 100 Personen. 

Dieser Vorschlag stösst bei den evakuierten Menschen auf Widerstand: «Ich kenne kaum einen Brienzer, der in diese Talsohle ziehen will» so ein Bewohner an der Informationsveranstaltung. «Wir haben Risse in den Fassaden und Risse im Herzen», sagt ein weiterer Brienzer traurig. Aber ist Tiefencastel wirklich so ein Schattenloch? 

Man gewöhnt sich an den Schatten

Blick ist am Donnerstag in Tiefencastel vor Ort. Das Dorfleben ist ruhig, draussen trifft man fast keine Menschen an und auch die meisten Geschäfte sind eher leer. Sonia Weber (48) arbeitet im Express Buffet am Bahnhof Tiefencastel. Ihr gefällts hier, für sie ist der Ort kein «Schattenloch»: «Das finde ich überhaupt nicht. Tiefencastel bietet alles, was man braucht.»

Gegenüber vom Bahnhof trinken drei Herren im Tankstellenshop gemütlich einen Kaffee. Die mögliche Umsiedlung der Brienzer nach Tiefencastel ist auch hier ein Gesprächsthema. «Klar haben wir hier viel weniger Sonne als in Brienz. Aber man gewöhnt sich an die Schattenmonate im Winter», so einer der drei Herren. Alle drei wollen anonym bleiben, man kennt sich hier oben und die Evakuierung aus Brienz ist ein höchst emotionales und aufgeladenes Thema. 

Eine Dorfbewohnerin kommt dazu und meint: «Klar ist es schwierig, seine Heimat zu verlassen, aber man muss den Tatsachen langsam ins Auge schauen». 

Monica Andras (47), Verkäuferin im Shop, will die Brienzer bei diesem möglichen Schritt unterstützen: «Niemand will seine Heimat aufgeben, aber wir würden sie hier gut aufnehmen.»

So grau und dunkel sich Tiefencastel an diesem Donnerstag präsentiert, die Menschen nehmen einen sehr offen und freundlich auf. Diese Freundlichkeit ist auch der Hauptgrund, weshalb Sonia Weber (48) so gerne im Express Buffet arbeitet: «Die Menschen hier sind herzlich.» 

«Es ist wirklich ein Loch»

Vielleicht hilft diese Freundlichkeit, den Brienzerinnen und Brienzern bald in Tiefencastel anzukommen. Denn Sonnenstunden hätten sie hier definitiv weniger. «Im Vergleich zu Brienz ist das hier wirklich ein Loch», sagt eine Bewohnerin am Bahnhof Tiefencastel. Die Verkäuferin eines lokalen Geschäfts ergänzt: «Ich verstehe, dass man hier nicht wohnen will.»

Der Ort Tiefencastel in der Gemeinde Albula hat aktuell rund 250 Einwohner, mit den 100 Menschen aus Brienz würde sich die Bevölkerung somit fast um die Hälfte vergrössern. Ob und wann diese Pläne umgesetzt werden, ist aber aktuell noch unklar. 

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