Partygänger treten sich in der Ausgangsmeile in Basel beinahe auf die Füsse. 200 Corona-Skeptiker demonstrieren auf dem Sechseläutenplatz in Zürich. Die Tische am Ufer des Genfersees in Lausanne sind alle besetzt, Spaziergänger kommen kaum noch durch. Die Abstandsregeln und das Versammlungsverbot gelten noch. Eigentlich.
Doch am vergangenen Wochenende ist davon nichts mehr zu spüren. Die Angst der letzten Wochen scheint mit den zweiten Lockerungen des Bundes plötzlich vergessen. Die Bevölkerung wird nachlässig – und die Polizei greift seltener ein.
So etwa in der Basler Steinenvorstadt: Die Ausgangsmeile zog am Samstagabend zahlreiche Partygänger an. Mindestabstand beim Anstehen vor den Lokalen? Von wegen! Auf den Gassen herrschte ein riesiges Durcheinander. Trotzdem schritt die Polizei nicht ein.
Keinen Sinn, Bussen zu verteilen
Keine Räumung, keine Bussen – Toprak Yerguz, Sprecher der Kantonspolizei Basel-Stadt bestätigt zwar, man habe am Wochenende vereinzelt «Brennpunkte» bemerkt, an denen der Abstand nicht eingehalten wurde. «Doch dies war aufgrund der Anzahl Personen gar nicht möglich», erklärt der Sprecher.
Entsprechend mache es wenig Sinn, Bussen zu verteilen. Man kläre jedoch ab, ob für kommendes Wochenende erneut Sperrzonen errichtet werden müssten. Um die Ansammlungen zu «brechen».
Basel ist keine Ausnahme. Auch in den übrigen grossen Schweizer Städten hielt sich die Polizei am Wochenende zurück – trotz grossen Andrangs in den Innenstädten und Fussgängerzonen.
Weniger Einsätze trotz vieler Verstösse
Die Stadtpolizeien Zürich und St. Gallen, die Kantonspolizeien Bern und Basel-Stadt sowie die Luzerner Polizei geben einstimmig an: An diesem Wochenende waren deutlich mehr Menschen unterwegs als vor den Lockerungen. Das Social Distancing wurde vermehrt missachtet.
Dennoch verzeichneten die Polizeien weniger Einsätze – und verteilten gar weniger Bussen!
Die Stadtpolizei Zürich beispielsweise rückte am Wochenende lediglich 50 Mal im Zusammenhang mit den Corona-Massnahmen aus. Vor einem Monat, am Wochenende des 18. und 19. April, waren es noch 152 Einsätze.
Bussen verteilte sie in erster Linie an der Demonstration von Corona-Skeptikern am Samstag auf dem Sechseläutenplatz. 37 Personen hat die Stadtpolizei nach mehreren Warnungen verzeigt. Insgesamt aber seien vergleichsweise «weniger Bussen» ausgesprochen worden, wie Judith Hödl, Sprecherin der Stadtpolizei auf BLICK-Anfrage mitteilt.
Luzerner Innenstadt völlig überlaufen
Auch die Luzerner Polizei gibt an, nur «vereinzelt» Bussen verteilt zu haben. Obwohl der Mindestabstand «insbesondere vor den Geschäften in der Innenstadt nicht eingehalten wurde», wie Sprecher Simon Kopp bestätigt.
Zum Vergleich: Am letzten März-Wochenende, zwei Wochen nach dem Lockdown, lobte die Luzerner Polizei die Bevölkerung noch für ihre Disziplin – und sprach dennoch mehrere Dutzend Ordnungsbussen aus.
Dasselbe in Bern. Die Kantonspolizei teilt auf Anfrage mit, man habe schon festgestellt, dass sich die Bevölkerung weniger konsequent an die Massnahmen halte. Kapo-Sprecherin Isabelle Wüthrich meint aber: «Jeder und jede ist in erster Linie selbst verantwortlich, die geltenden Massnahmen auch im Sinne der Solidarität umzusetzen.»
80 Anzeigen gegen Demonstranten in Bern
Bussen verteile man nur, wenn die Einsicht fehle. Dies sei am Wochenende lediglich in Einzelfällen vorgekommen – mit einer Ausnahme: Wie in Zürich fand am Samstag auf dem Bundeshausplatz in Bern eine unbewilligte Corona-Demo statt. Trotz mehrfacher Aufforderung verliessen einige Protestler den Platz nicht: 80 von ihnen wurden verzeigt.
Auch die Kantonspolizei Aargau verzeichnet dieses Wochenende nur einzelne Bussen. Eine Corona-Kundgebung in Aarau verlief ohne Einschreiten der Polizei. Die Demonstranten hätten sich an die Massnahmen gehalten, teilt die Polizei mit.
Die Stadtpolizei St. Gallen sprach keine einzige Corona-Busse aus. Die Beamten stellten aber am Samstagabend vor einigen Bars grössere Menschenansammlungen fest. «Es werden nun Massnahmen geprüft, wie dies am kommenden Wochenende verbessert werden kann», so Sprecher Dionys Widmer zu BLICK.
Daniel Koch: «Ein unnötiges Risiko»
Woher die Milde? Müsste man nicht gerade jetzt durchgreifen, nach den Lockerungen, um einen erneuten Anstieg der Infektionen zu verhindern?
Selbst die Kantonspolizei Wallis, die zu Beginn des Lockdowns noch massenhaft Bussen verteilte, zeigt sich mittlerweile nachsichtig. «Wir setzen wieder vermehrt auf Prävention statt auf Bestrafung», sagt Sprecher Markus Rieder.
Auch Daniel Koch, Sprecher des Bundesamts für Gesundheit (BAG), appelliert an die Vernunft des Einzelnen. Angesprochen auf die Menschenansammlungen am Wochenende betont er am heutigen Montag: «Das ist ein unnötiges Risiko. Die Bevölkerung sollte ein solches Verhalten vermeiden.»