Dem Tötungsdelikt ging eine Kette von fragwürdigen Entscheidungen voraus, die für Empörung sorgten. Der Angeklagte sass wegen zwei Vergewaltigungen eine Freiheitsstrafe von 20 Jahren ab und wurde im Zentrum «La Pâquerette» behandelt, einer auf Resozialisierung spezialisierten Abteilung der Genfer Strafanstalt Champ-Dollon.
Im Hinblick auf eine bedingte Haftentlassung wurde dem schweizerisch-französischen Doppelbürger für eine Reittherapie ein begleiteter Freigang gewährt. Im Reitzentrum kamen am 12. September 2013 aber weder der Häftling noch die 34-jährige Sozialtherapeutin an.
Adeline wurde am Folgetag an einen Baum gefesselt in einem Waldstück nahe des Reitzentrums aufgefunden, die Kehle war durchgeschnitten. Der mutmassliche Täter flüchtete mit dem beim Freigang benutzten Dienstwagen. Die Fahndung dauerte drei Tage.
Schliesslich wurde er an der deutsch-polnischen Grenze verhaftet. Dabei wurde auch die Tatwaffe sichergestellt. Es handelt sich um ein Messer, dass er sich während des Freigangs in einem Waffengeschäft kaufen durfte. Er hatte es für die Pflege von Pferdehufen beantragt.
Der tragische Tod der Sozialtherapeutin, die eine damals acht Monate alte Tochter zurückliess, löste ein Beben in der Genfer Politik aus. Eine vom früheren Staatsrat Bernard Ziegler vorgenommene Administrativuntersuchung kam zum Schluss, dass der Häftling das Gefängnis nicht hätte verlassen dürfen.
Die Genfer Politik tut sich jedoch nach wie vor schwer mit der Aufarbeitung des Falls. So wurde die Direktorin des Amtes für Straf- und Massnahmenvollzug nach dem Delikt in den Rang einer einfachen Angestellten zurückgestuft - eine Massnahme, die vom Genfer Verwaltungsgericht Anfang September aufgehoben wurde, weil nach Ansicht der Justiz keine Verletzung der Amtspflichten vorlag.
Der Genfer Grosse Rat setzte eine parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) ein, um die Rolle des Kantons unter die Lupe zu nehmen. Diese verschob die Veröffentlichung ihres Berichtes aber mehrmals, zuletzt auf Januar 2017.
Auch weil zu diesem Tötungsdelikt noch immer die Emotionen hochgehen, gelten bei dem zweiwöchigen Prozess ab dem 3. Oktober im Genfer Palais de Justice verschärfte Sicherheitsvorkehrungen. Über 20 Medien haben sich für den Prozess angekündigt.
Der Angeklagte wird während der Gerichtsverhandlung aus der Waadt ins Gefängnis Champ-Dollon verlegt, wo er bereits vor dem Tötungsdelikt einsass. Die Abteilung «La Pâquerette» gibt es allerdings nicht mehr - nach dem Fall wurde sie geschlossen und durch eine neue Abteilung mit dem Namen «Curabilis» ersetzt.
Der Angeklagte muss sich vor Gericht wegen Mordes, Freiheitsberaubung und wegen sexueller Nötigung verantworten. Er hatte die Sozialtherapeutin dazu gezwungen, ihm einen Kuss zu geben, als sie bereits an den Baum gefesselt war.
Weil er den Dienstwagen mitsamt den persönlichen Gegenständen des Opfers für die Flucht gestohlen hatte, wird ihm auch Diebstahl vorgeworfen. Im Prozess wird auch die Frage der lebenslänglichen Verwahrung aufkommen.
Noch ist unklar, ob die Genfer Staatsanwaltschaft diese strengste Sanktion fordern wird. Bereits durchgesickert ist, dass die beiden psychiatrischen Gutachter keine lebenslängliche Verwahrung empfehlen, obwohl sie den Angeklagten als gefährlich einschätzen. Die Frage der Verwahrung wurde in der Westschweiz erst Anfang September lebhaft debattiert.
Der Mörder der 19-jährigen Marie wurde von der Waadtländer Justiz zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe und einer lebenslänglichen Verwahrung verurteilt. Der Täter schlug im Mai 2013 zu - rund vier Monate vor dem Tötungsdelikt Adeline.
Die Fälle wurden oft miteinander verglichen, weil auch der 40-jährige Mörder von Marie bereits vor diesem Mord straffällig geworden war. Er hatte 1998 seine damalige Ex-Freundin vergewaltigt und getötet. Zum Zeitpunkt der Wiederholungstat verbüsste er eine Reststrafe im Hausarrest.
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