Es geschah am Morgen des 23.November 2006: Thorsten Elsemann (†30), Schachtkopfdisponent auf der Baustelle des Gotthard-Basistunnels in Sedrun GR, verantwortlich für die Überwachung des Abtransports von Ausbruchsmaterial, hatte gegen 6.50 Uhr nur kurz seinen Posten verlassen, um einen der tonnenschweren Waggons zu kontrollieren. Da setzte sich der Wagen in Bewegung. Elsemann wurde erdrückt. Das Unglück hinterliess bei seiner Familie tiefe Wunden, die bis heute nicht verheilt sind.
«Eigentlich wollte er die Schweiz wieder verlassen, wurde dort nie richtig glücklich», sagt seine Mutter Jutta Elsemann (58) aus Oberhausen (D) im Gespräch mit SonntagsBlick. In der Hand hält sie das letzte Flugticket von Thorsten: Am 2. Oktober 2006 war er von Düsseldorf (D) nach Zürich gereist.
«Er hatte eine neue Arbeit in Deutschland gefunden», sagt sie. «Er wollte eigentlich nicht mehr nach Sedrun, hat aber die Zähne zusammengebissen und sich nicht krankschreiben lassen – so war er halt!» Ihr Enkel, Thorstens Sohn, war damals gerade ein Jahr alt.
Knapp zehn Jahre sind seit dem tödlichen Unfall vergangen, doch die Angehörigen kämpfen noch immer jeden Tag mit dem Verlust: «Das Unglück ist wie ein Tornado durch unsere Familie gefegt – nichts ist mehr wie vorher», sagt die Mutter. Was ihre Trauer wohl verstärkte: Die Familie konnte nie am Unglücksort Abschied nehmen.
«Verkettung unglücklicher Umstände.»
«Immer wieder haben wir bei der Tunnelbaufirma angefragt, wollten an den Ort, wo Thorsten sein Leben verloren hatte», sagt Thorstens Schwester Julia Elsemann (28), «doch wir wurden nicht vorgelassen.» Der Sarg blieb nach der Überführung verschlossen. «Wir konnten uns nie richtig verabschieden.»
Ein Untersuchungsbericht zur Unfallursache befand lapidar: «Verkettung unglücklicher Umstände.»
13 Menschen starben beim Bau des Gotthard-Basistunnels. Ihrer wird nächste Woche bei der feierlichen Eröffnung gedacht. Dass der Tunnel, bei dessen Bau Thorsten Elsemann sein Leben verlor, in wenigen Tagen eröffnet wird, erfuhren Jutta Elsemann und Thorstens Schwester Julia von SonntagsBlick. Die Einladung zur Gedenkfeier ging an Thorstens Witwe, doch der Kontakt zu ihr war nach seinem Tod abgebrochen. Zwar erhielten die Angehörigen nachträglich doch noch eine Einladung. Bloss: Julia kann mit ihren zwei kleinen Kindern nicht teilnehmen, genausowenig wie ihre ältere Schwester. Die Mutter kam nach langem Überlegen zum Schluss: «Ich weiss, dass die Feier mich emotional überfordern wird; deshalb werde ich nicht in die Schweiz fahren.»
In Gedanken aber ist sie bei ihrem Sohn. Und bei den Reisenden: «Der liebe Gott möge alle beschützen, die durch diesen Tunnel fahren.»