BLICK: Im vergangenen Sommer hielt das wilde Flüchtlingscamp von Como die Schweiz in Atem. Viele Migranten versuchten, illegal in die Schweiz zu reisen, wurden immer wieder von der Grenzwacht nach Italien zurückgeschickt. Wie sieht es für diesen Sommer in Como aus?
Lisa Bosia Mirra: Wir rechnen ab Juli mit einem neuen Ansturm. Doch der Park soll nicht mehr besetzt werden. Das will die Stadt auf jeden Fall verhindern. Vielleicht gibt es ein weiteres Zeltlager nahe dem Gefängnis von Bassone. Von dort könnten die Flüchtlinge möglicherweise mit Bussen weggeschafft werden. Doch Genaues wissen wir noch nicht.
2016 haben Sie und ihre Organisation Firdaus sich sehr für die Flüchtlinge eingesetzt. Werden Sie auch in diesem Sommer wieder helfen?
Selbstverständlich. Wir stehen in den Startlöchern. Wir wollen vor allem die Flüchtlinge über ihre Rechte aufklären und ihnen mit Anwälten zur Seite stehen.
Im September 2016 wurden Sie an der Grenze festgenommen (BLICK berichtete), im April dieses Jahres wegen Schlepperei zu 80 Tagessätzen auf Bewährung verurteilt. Ihnen wird vorgeworfen, Flüchtlinge über die Grenze geschleust zu haben. Warum haben Sie das Gesetz gebrochen?
Da war eine kleine Gruppe Eritreer. Wir nannten sie die Gefolterten. Sie kamen aus einem Lager in Libyen, wurden dort misshandelt. Unter ihnen war auch eine junge Frau, sie hatte das ganze Gesicht zerschlagen, keine Zähne mehr. Sie wurde mehrfach vergewaltigt. Sie flehten «Please help us!». Soll man da Nein sagen? Auch einem Mann mit seinem kleinen Neffen halfen wir. Eine andere junge Frau hatte mit angesehen, wie ihr Bruder bei der Überfahrt ertrank. Sie wollte zu ihrer Familie nach Deutschland. Ein Neunjähriger wurde in Chiasso TI aufgegriffen und wieder nach Italien geschickt. Er war allein. Am liebsten hätte ich ihn mit zu mir nach Hause nach Mendrisio TI genommen. Wir teilen die Verzweiflung dieser Menschen.
Werden Sie die Strafe schlucken?
Nein, wir haben Rekurs eingelegt. Hier wurde der humanitäre Aspekt völlig ignoriert. Im Herbst geht es vor die nächste Instanz.
Wie sollten die Schweizer mit Flüchtlingen umgehen?
Sie sollten ihre Vorurteile ablegen. Sie sollten die Chance in diesen Menschen sehen und nicht nur Angst haben. Die meisten Flüchtlinge wollen lernen und arbeiten. Sie machen nur ein Prozent der Schweizer Gesellschaft aus. Doppelt so viele Schweizer leiden beispielsweise an Alzheimer und brauchen Pflege. Das sind Arbeiten, die so mancher Flüchtling gern übernehmen würde.