Vorbild-Kanton wegen Deutschschweizer Corona-Zahlen in Sorge
Bringen Touristen das Virus zurück ins Tessin?

Die Sonnenstube vermeldet kaum noch Neuansteckungen und keine Corona-Opfer. Ein tolles Ergebnis dank Krisenmanagement und Disziplin der Tessiner! Doch mit der Zahl unbekümmerter Feriengäste wächst auch die Angst vor einer zweiten Ansteckungswelle im Südkanton.
Publiziert: 01.07.2020 um 21:14 Uhr
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Aktualisiert: 17.07.2020 um 19:59 Uhr
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Ferienstimmung am Luganersee. Doch die Ferienzeit birgt auch Risiken. Die Zahl der Neuinfektionen steigt in der Deutschschweiz an. Sie könnten das Virus wieder ins Tessin tragen.
Foto: keystone-sda.ch
Myrte Müller

Es sind Tausende. Sie strömen in die Berner Reitschule. Dicht gedrängt tanzen sie, niemand trägt Maske. Die illegale Rave-Party in der Nacht auf Sonntag mitten in der Hauptstadt ist ein Albtraum für all jene, die eine zweite Corona-Welle fürchten.

Vor allem das vom Virus stark betroffene Tessin hat Angst. Mit Sorge verfolgen Kantonsarzt Giorgio Merlani und der Direktor der Luganeser Corona-Klinik Moncucco, Christian Garzoni, die Corona-Entwicklung. Die Zahl der Neuinfektionen in der Schweiz hat sich im Juni verdreifacht. Allein am vergangenen Wochenende wurden 131 neue Fälle gemeldet. Am Dienstag sind es weitere 62.

Wie viele sich heute anstecken, sieht man erst in zwei Wochen

Kopfweh bereitet Garzoni die Situation in der Deutschschweiz und in der Romandie, wo die Fallzahlen wieder ansteigen. Die Bevölkerung dort nehme das Virus zu wenig ernst. Er warnt: «Das ist das Resultat der Lockerungen vom 6. Juni.» Wie viele sich in diesen Tagen ansteckten, werde man erst in den kommenden Wochen sehen. Im Tessin sei die Situation noch unter Kontrolle. Noch.

Seit dem 22. Juni gelten neue Lockerungen. Bis zu 1000 Menschen dürfen an einer Veranstaltung teilnehmen. Der Abstand wurde von zwei auf 1,5 Meter gesenkt, die Sperrstunde für Bars und Clubs aufgehoben. Man kann sich wieder ungehemmter anstecken.

Die Sonnenstube hat kaum Neuinfizierte

Der Tessiner Kantonsarzt Merlani zeigt sich alarmiert. «Die Lage ist ernst und muss gut verfolgt werden», sagt er im «Corriere del Ticino». «Das Virus ist nicht verschwunden. Wir müssen auf der Hut bleiben.» Und Virologe Andreas Cerny mahnt die Deutschschweiz: «Die Bevölkerung muss sensibilisiert, und die verordneten Massnahmen müssen umgesetzt und kontrolliert werden.»

Dabei weist die Sonnenstube eine glänzende Bilanz vor. Es gibt seit Wochen kaum Neuansteckungen und keine Toten mehr. Am Wochenende waren es nur gerade deren zwei neu Infizierte. Die Tessiner sind diszipliniert. Viele tragen Masken. Man achtet aufs Hände desinfizieren und hält Abstand. Der Corona-Schrecken sitzt noch tief in den Knochen.

Anders sehen das Feriengäste aus der Deutschschweiz. Die Mundschutzmaske fehlt meist im Koffer. Gern geht man in der Gruppe in den Supermarkt oder füllt die Busse und S-Bahnen. Das ärgert die Tessiner. So schreibt etwa Selena Valeriani auf Facebook: «Beim Einkaufen tragen die Touristen keine Masken. Einer hat meine Mutter angehustet. Sie haben keinen Respekt vor unseren Toten.»

Tessiner feiern weniger zügellos

Partys gibt es auch im Tessin. Doch nicht ganz so zügellos wie in Bern. «Die Türsteher und Barkeeper haben Masken auf. Man muss reservieren, Namen und Telefonnummer auf eine Liste setzen», sagt Giulia Mros (18) aus Locarno TI. «Mehr als 300 Leute dürfen nicht in den Club.» Seit zwei Wochen geht die Tessinerin nachts wieder auf die Piste. «Viele junge Leute wollen endlich wieder feiern», sagt Giulia. Sie jedenfalls wolle sich von Corona die Party nicht verderben lassen.


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