Auch ein Tag nach dem tödlichen Unfall im Gotthard-Tunnel steht das verantwortliche Transportunternehmen aus dem Sottoceneri TI unter Schock. M. B.* (61) leitet den Familienbetrieb in dritter Generation. Sohn M.* steht in den Startlöchern, den Tessiner Marktführer zu übernehmen. «Es ist das erste Mal, dass uns so etwas passiert», erzählt der Junior dem «Corriere del Ticino», «im Augenblick haben wir keine Ahnung, was genau passiert ist. Das wissen selbst die Ermittler noch nicht.»
Auf die Frage, warum sich am Mittwochmorgen gegen 9.15 Uhr ein Zwillingsrad vom Auflieger eines ihrer Sattelmotorfahrzeuge löste, finden Vater und Sohn keine Antwort. «Der LKW war erst vor drei Monaten technisch überprüft worden», beteuert der Junior. Für den Senior ist durchaus Sabotage eine Möglichkeit.
Der Sohn wurde mittlerweile von der Polizei befragt. Diese muss klären, wie sich das Rad lösen konnte. Denn als das Rad vom Sattelanhänger im Gotthard-Tunnel in Richtung Norden abspringt, prallt es gegen die linke Vorderseite eines Reisecars aus dem Jura. Der Reifen wird zurückgeschleudert, knallt mit hoher Geschwindigkeit in die Frontscheibe eines entgegenkommenden blauen Volvos mit Zürcher Kennzeichen und schlägt dem Fahrer (†65) mit Wucht an den Kopf. Der Mann stirbt noch vor Ort (BLICK berichtete).
Auch Tessiner Politik im Visier der Kritik
Durch den Horror-Crash gerät nicht nur das Transportunternehmen ins Visier der Kritik, sondern auch die Tessiner Politik. Schweizweit gibt es zehn Kontrollzentren für den Schwerverkehr. Doch ausgerechnet im Südkanton, durch den sich eine der Hauptadern für den internationalen Transit-Verkehr zieht, fehlt bislang eine feste Einrichtung. Einzelne Trucks werden hin und wieder lediglich durch Polizeistreifen stichprobenartig kontrolliert.
Bereits im Jahr 2004 eröffnete Bundesrat Moritz Leuenberger (72), damals Vorsteher des Eidg. Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK), in Unterrealta (GR) das erste grosse Schwerverkehrszentrum (SVZ) in der Schweiz. Es sollte auch bald eines im Tessin folgen. Heute, 15 Jahre später, steht noch immer keines im Südkanton. Erst in drei bis vier Jahren wird das geplante Zentrum in Giornico TI eröffnet. Viel zu spät, findet CVP-Nationalrat Fabio Regazzi (56).
Weniger gefährliche Pannen dank Kontrollen
Der CVP-Politiker lancierte 2017 zusammen mit Parteigenosse Karl Vogler (63) und SP-Politikerin Marina Carobbio Guscietti (52) eine parlamentarische Anfrage nach Kontrollverfahren an LKWs im Tessin. Bundesrätin Doris Leuthard (56) hatte damals gezielte Überprüfungen und Massnahmen und eben die Eröffnung eines SVZ angekündigt. Doch die Umsetzung geht nur schleppend voran.
Es habe in der Vergangenheit immer wieder Einsprachen gegen das Projekt gegeben, sagt Regazzi – insbesondere von der Alpen-Initiative. Das geplante Zentrum sei überproportioniert, es nehme nicht den Schwerverkehr über die A13 unter die Lupe, so damals die Gegner. Zudem wollten diese ohnehin, dass die LKWs mehr auf die Schiene verladen würden.
Auch hätten Diskussionen über die Kosten der Sanierung des mit Schadstoffen belasteten Standortes, dem ehemaligen Industriegebiet Ex-Monteforno in Giornico, den Plan behindert. «Die altbekannte Streitlust der Tessiner ist wie so oft schuld an der Verzögerung», sagt Fabio Regazzi. Er ist überzeugt: Mit einem SVZ gäbe es viel weniger gefährliche LKW-Pannen auf der A2.
*Name der Redaktion bekannt