Der Bootssteg ragt ziellos in den See. Eine Kette verwehrt den Zutritt. Hinter einer beschlagenen Scheibe verschwindet ein weisses DIN-A4-Blatt. «Bitte beachten Sie, dass diese Schiffs-Haltestelle bis auf Widerruf nicht angefahren wird», steht darauf.
«Vor kurzem stand eine grosse Gruppe von Behinderten auf dem Steg und wartete auf die Fähre», erinnert sich Paola Zaninelli (54). Aber: «Sie kam nicht. Die Leute taten mir so leid.» 36 Jahre arbeitet Zaninelli in ihrer Osteria Battello in Caslano TI. Täglich sah sie durch die Platanen die Fähre an- und ablegen. An Bord meist hungrige Gäste. Das hat eine lange Tradition. Ihr Lokal wurde anno dazumal nach der Fähre aus Lugano benannt. Nun kommt das Schiff nicht mehr – zum ersten Mal seit über 170 Jahren.
Niemand wurde über die Streichung informiert
Für die Wirtin ein Trauerspiel. Das Battello fehle, besonders der Klang des Horns. Es gehöre zum Lokalkolorit. «Jeden Tag fragen mich Touristen nach der Fähre», erzählt die Tessinerin weiter. Doch eine Antwort geben kann Zaninelli nicht. Denn niemand wurde über die Streichung der Route informiert. Niemand weiss, wie es und ob es eines Tages mit der Schifffahrt in der Region Malcantone weitergeht.
Michele Sciaraffa (60) bedient im Ristorante Debarcadero. Auch beim Namen dieses Lokals stand einst die Fähre Pate. Der Oberkellner ist sauer: «Gandria, Morcote, Porto Ceresio werden regelmässig angefahren. Uns aber zeigt man die kalte Schulter.»
Glacémann Giuseppe Pontoliero (51) trauert ebenfalls den vielen Schiffs-Touristen nach. Die Menschen seien von Bord gegangen und direkt auf seine Gelateria zumarschiert. Wie hoch sein persönlicher wirtschaftlicher Schaden sein wird, weiss er noch nicht. Aber alle Gastronomen sind sich einig: «Wir wollen unser Battello zurück!»
Keine Touristen, keine Einnahmen
Auch Ponte Tresa TI wurde aus dem Fahrplan gestrichen. Um 95 Prozent sei das touristische Geschäft in seinem Bahnhofkiosk eingebrochen, sagt Daniele Agostini (53). Das freilich nicht nur, weil das Schiff nicht mehr hält. Die Touristen würden in der Corona-Krise nur noch mit dem Auto anreisen, und niemand brauche mehr Billette.
Traurig schaut der Wirt des Claroma Garden auf die leeren Tische um den Springbrunnen herum. Claudio Paccagnin (60) erinnert sich: «Früher war meine Terrasse immer besetzt mit Touristen vom Nachmittagsschiff.» Heute habe er in dieser Zeit ein Gäste-Loch.
Gemeindepräsident vor den Kopf gestossen
Enttäuscht ist auch der Gemeindepräsident. Niemand habe ihn darüber informiert, dass das Schiff nicht mehr anlegen würde, sagt Daniel Buser (55). Er mahnt: «Ausgerechnet jetzt, wo so viele neue Schweizer Touristen den Südkanton entdecken, fehlt uns dieses touristische Angebot.» Der Politiker hat inzwischen Kontakt aufgenommen mit der Luganeser Schifffahrtsgesellschaft. «Wir werden uns treffen, alles klären und die Route auf Ponte Tresa und Caslano so rasch wie möglich wieder aufzunehmen», hofft Buser.
Auch SVP-Politiker und gebürtiger Malcantoneser Tiziano Galeazzi (53) macht Dampf. «Der Kanton ist mit acht Prozent an der Gesellschaft beteiligt», so der Tessiner Grossrat. Warum also wird der Malcantone von der Schifffahrtsgesellschaft geschnitten? Das will Galeazzi nun in einer Anfrage an den Tessiner Staatsrat ganz genau wissen.
Corona macht alle Pläne hinfällig
Der Präsident der Luganeser Schifffahrtsgesellschaft SNL wehrt sich. «Wir wollten 2020 sogar das Programm ausbauen», sagt Agostino Ferrazzini (56). Doch dann fiel wegen Corona bereits das Ostergeschäft komplett ins Wasser. «Wir haben alle Gemeinden am See gebeten, uns finanziell zu unterstützen», erklärt der Lago-Chef weiter. Doch: «Niemand wollte uns helfen.» Da habe man die teuersten und am wenigsten lukrativen Strecken halt gestrichen. Ferrazzini verspricht: «Sobald die SNL wieder Oberwasser gewinnt, legt die Fähre wieder in Caslano und Ponte Tresa an!»