Der Polizist, dein Freund und Helfer. Für Jairo Lompa (40) klingt der Spruch wie blanker Hohn. Der Versicherungsagent aus Ronco sopra Ascona TI hat einen Freund – und der ist Polizist. Doch in der finstersten Stunde seines Lebens lässt ihn sein Kumpel feige in Stich. «Ich hätte sterben können. Es war ihm egal. Er dachte wohl, ich sei schon tot.»
Es ist der Nachmittag des 21. Februar 2018. Die Freundschaft ist noch intakt, als Jairo Lompa und Jean C.* (44) in Jairos BMW steigen. Das Duo will nach Mailand (I). Lompas erinnert sich: Zum Apéro gibt es einen Hugo. Nach dem Abendessen genehmigt sich der Kantonspolizist aus Locarno noch einen Limoncello. In der Bar folgt ein Cocktail. In der Disco fliesst Wodka Lemon.
Gegen vier Uhr morgens setzt sich Jean C. für den Rückweg ans Steuer. Jairo Lompa stellt die Rückenlehne flach und nickt ein. Er wird erst wach, als es zu spät ist. Etwa 200 Meter vor seinem Haus am Berghang von Ronco schiesst Jean C. mit möglicherweise erhöhter Geschwindigkeit aus der Rechtskurve. Der schwarze BMW durchschlägt das Strassengeländer und fliegt 15 Meter in die Tiefe. Es ist 5.30 Uhr.
«Mein Gesicht war blutüberströmt»
«Ich spürte den Aufprall gegen die Leitplanke. Wir überschlugen uns. Mir wurde schwarz vor Augen», erinnert sich Jairo bruchstückhaft. Der Tessiner fällt in tiefe Bewusstlosigkeit. «Meine Erinnerung setzt erst wieder ein, als ich etwa zwei Stunden später vor meiner Haustür stehe», sagt Jairo Lompa. «Mein Gesicht war blutüberströmt.» Anhand der Tropfen auf dem Asphalt rekonstruiert der Verletzte: «Ich muss wohl von alleine aus dem Auto-Wrack gestiegen und den Hang hochgeklettert sein.»
Doch wo ist sein Kollege? Jean C. bleibt beim Unfall unverletzt. Er befreit sich aus dem BMW, läuft zu Jairos Haus, wo sein eigener Wagen steht. «Mein Nachbar hat kurz nach 5.30 Uhr beobachtet, wie Jean davonfuhr», sagt Jairo Lompa. Der Kantonspolizist alarmiert weder die Ambulanz noch seine Kollegen von der Kapo Locarno. «Er liess mich blutend allein im Auto zurück. Ich bin fassungslos, unendlich enttäuscht und wütend», sagt Jairo Lompas. Später erfährt er: Jean ging einfach nach Hause, duschte und legte sich schlafen.
Gegen Kantonspolizist läuft nun ein Strafverfahren
Eine Streife entdeckt am frühen Morgen per Zufall den Unfallwagen von Jairo Lompa. Wenig später stehen die Beamten vor seiner Tür und bringen den Verletzten ins nächste Spital. Dort diagnostizieren die Ärzte eine zertrümmerte Nase, sieben angebrochene Zähne – und eine sechs Zentimeter lange Schnittwunde am Auge, die mit 30 Stichen genäht werden muss. Zudem: eine schwere Gehirnerschütterung.
Die Wunden seien nicht das Schlimmste, sagt Jairo Lompa. Sondern: «Es ist vor allem die Feigheit meines Kumpels, die schmerzt. Ich dachte, wir wären Freunde!» Jean sei ein Extrem-Sportler, sagt Jairo, ein Iron-Man-Champion, ein Ass im Triathlon, ein Siegertyp. Dass er derart versagen würde, habe er nie gedacht.
Gegen Jean C. läuft nun laut RSI ein Strafverfahren wegen unterlassener Hilfestellung und Verstoss gegen die Strassen- und Verkehrsordnung. Einer Entlassung kam der Polizist zuvor. Er kündigte selbst. Beendet ist auch die Freundschaft zu Jairo Lompa. Jean C. reagierte nicht auf BLICK-Anfragen.