Es sollte das erste Verfahren von Mädchenbeschneidung werden, das vor einem Tessiner Gericht verhandelt wird. Denn in der Anklageschrift im Fall von Maria R.* (35) vermutet die Staatsanwaltschaft eine mögliche versuchte Genitalverstümmelung. Doch als die Beschuldigte am Dienstagmorgen den Gerichtssaal betritt, kommen bereits die ersten Zweifel auf.
Maria R. ist Portugiesin. Sie stammt weder aus einem Staat, wo Mädchenbeschneidung Tradition hat, noch ist sie Muslimin. Warum sie ihre kleinen Tochter Daniela – heute sechs Jahre alt – vor zwei Jahren am Geschlechtsteil verletzte, weiss die Putzfrau aus Bellinzona TI heute nicht mehr. «Mir ging es damals nicht gut», sagt die blasse Frau auf der Anklagebank. Dann murmelt sie: «Es tut mir so leid. Ich wollte meinem Kind nicht weh tun. Ich habe es doch so lieb.»
«Das Kind rief ständig nach mir. Da bin ich nervös geworden»
Jener gewaltsame 19. Oktober 2017 beginnt wie jeder andere Tag. «Ich habe meine Tochter aus dem Kindergarten abgeholt», erinnert sich Maria R., «dann sind wir nach Hause gegangen.» Die Mutter habe das Mittagessen vorbereitet. «Doch die Tochter rief ständig nach mir. Da bin ich nervös geworden», erzählt Maria R. weiter. Sie sei dann mit einem hölzernen Kochlöffel auf die Kleine los.
Im Schlafzimmer drischt die Portugiesin auf die damals Vierjährige ein. Sie schlägt der Kleinen auf den Po, schliesslich auch in den Schritt. Daniela blutet an der Scheide. Sie kommt in die Notaufnahme. Die Sanitäter melden die Verletzungen den Behörden. Am Tag darauf wird Maria R. verhaftet. Die junge Mutter sitzt 132 Tage in U-Haft. Danach darf sie Daniela unter Aufsicht zweimal in der Woche sehen.
Kind wurde schon öfters geschlagen
In den Verhören stellt sich heraus: Es sind nicht die erste Prügel, die Daniela von ihrer Mama bezieht. Zwischen dem 21. Februar 2017 und dem Tag der Verhaftung versohlt die Portugiesin immer wieder ihr Kind, auch mit dem Kochlöffel. Sie gesteht, die kleine Daniela zuweilen an den Haaren gezogen oder ihr auf die Händchen geschlagen zu haben.
Maria R. geht fortan regelmässig in die Psychotherapie und zeigt sich voller Reue. Das stimmt den Richter milde. Zwar wird die Portugiesin wegen einfacher Körperverletzung und Verletzung der Fürsorgepflicht zu 20 Monaten bedingte Haft, ausgesetzt auf zwei Jahren Bewährung, verurteilt, doch der Richter sieht von einer Ausweisung aus der Schweiz ab.
Entschädigung von 20'000 Franken
Seine Bedingung: Maria R. muss auch weiterhin therapeutisch betreut werden. Ein Versuch, die Genitalien zu verstümmeln, läge in diesem Fall nicht vor, so der Richter weiter.
Die kleine Daniela erhält Rechtsbeistand. Sie wird durch eine Anwältin im Gerichtssaal vertreten. Mit der Mutter handelt diese eine Entschädigungssumme für das Kind in Höhe von insgesamt 20'000 Franken aus. Sie hoffe, dass sich Mutter und Tochter wieder näher kommen, sagt die Anwältin des Kindes zu BLICK.
* Namen geändert