Nach 400 Jahren steht La Prèsa wieder im Sonnenlicht
Wie Germano Mattei ein ganzes Dorf ausbuddelte

Architekt Germano Mattei (64) und sein Team legten in zwanzig Jahren einen Schatz frei: Das vor 400 Jahren verlassene Dorf La Prèsa.
Publiziert: 20.06.2016 um 22:29 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 17:25 Uhr
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Germano Mattei entdeckte La Prèsa vor 40 Jahren neu. Jetzt wurde der Ort wieder aufgebaut.
Foto: Ti-Press / Pablo Gianinazzi
Myrte Müller (Text) und Pablo Gianinazzi (Fotos)

Von der Seilbahn aus entdeckt Germano Mattei (64) im Bavonatal im Tessin 1975 einen verlorenen Schatz. «Da ragte plötzlich eine Kirchturmspitze aus den Baumkronen», erzählt der Architekt aus Cavergno. Das will sich der Tessiner näher ansehen und macht sich von San Carlo aus auf den Weg.

Es sind nur wenige Hundert Meter. Ein steiniger Ziegenpfad, gesäumt von wildem Farn, bemoosten Steinen und Baumwurzeln, führt in den Wald. Wenig später steht Mattei vor einem uralten, verlassenen Weiler. «Es war wie im Märchen. Ein Zauberwald schien ein ganzes Dorf zu umklammern.»

Vor über 400 Jahren verlassen

Das Dorf sei vor über 400 Jahren verlassen worden, weiss Mattei, «die Menschen flohen vor einem drohenden Erdrutsch und kehrten nicht zurück. So holte sich der Wald den verlassenen Weiler, der über Jahrhunderte in Vergessenheit geriet.»

Germano Mattei beschliesst: «Eines Tages werde ich diesen geheimnisvollen Ort aus seinem Dornröschenschlaf wecken.» Um dies zu realisieren, packen zahlreiche Freiwillige mit an. Die Stiftung Valle Bavona, mitgegründet von Germano Mattei, und die Vereinigung zum Schutz von Kunst und Architektur im Maggiatal unterstützen das Projekt.

Heute steht La Prèsa wieder im Sonnenlicht. Ein Kirchlein aus dem frühen 15. Jahrhundert empfängt am Dorfeingang die Besucher. Der Glockenturm dürfte noch älter sein. Spuren deuten darauf hin, dass Teile des Weilers aus dem 14. Jahrhundert stammen. Zwei dreistöckige Gebäude flankieren den Ort wie Wachposten. Sie sind aus dem 16. Jahrhundert. Die gut erhaltenen Turmhäuser sollten eigentlich im Freilichtmuseum Ballenberg wieder aufgebaut werden. Doch die Talbewohner protestierten. Und so blieben die historischen Gebäude an ihrem Platz. Eines dient heute als Infocenter.

Der Weiler besteht aus verfallenen Ställen, Holzspeichern für Roggen, einer Mühle, einem Kalkofen – ein gutes Dutzend Gebäude, zum Teil restauriert. Die wertvollsten Kostbarkeiten fanden sich in der Kapelle: drei gut erhaltene Fresken. Sie zählen zu den ältesten im Tessin. 1996 lösten Restauratoren die Wandmalereien und brachten sie ins Oratorium von San Carlo.

«Hier gibt es noch immer keinen Strom»

Das Bavonatal ist ein Seitental des Maggiatals und noch heute sehr ursprünglich. «Hier gibt es noch immer keinen Strom», erzählt Germano Mattei, «im Winter ist es schattig und kalt.»

Ab und zu zieht es Germano Mattei in seinen Zauberwald: «Wenn man durchs Unterholz geht, stösst man immer wieder auf mittelalterliche Zeugen Tessiner Berggeschichte.» Alte Hütten, Ställe, aber auch Räucherhäuschen für Kastanien, kleine Wassermühlen und schöne Steinbrücken.

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