Der Auftrag klingt verdammt verlockend. Die Gemeinde Lenk im Simmental BE will den Dorfkern aufhübschen. «Wir wollen den Fussgängerbereich der Dorfkernzone mit Kopfsteinen pflastern. Das erwarten die Touristen», sagt Gemeindepräsident René Müller (51) zu BLICK. Knapp 2500 Quadratmeter Fläche gilt es zu veredeln. Dafür braucht der 2336-Seelen-Ort gut 600 Tonnen Steine. Im April dieses Jahres steht eine Delegation aus Lenk bei Marzio Maurino (78) vor der Tür. Sein Granit-Unternehmen in Biasca TI ist mit 125 Jahren das älteste und grösste in der Schweiz. Jeder weiss: Die Graniti Maurino AG bietet hochwertigen Tessiner Marmor und Granit.
Der Unternehmer erinnert sich: «Die Gruppe suchte sich einen der teuersten Steine aus dem Maggiatal aus – eine Rolex unter meinen Produkten. Und sie wollten einen Kostenvoranschlag.» Lange hört der Tessiner nichts mehr aus dem Simmental. Schliesslich hakt er beim zuständigen Zwischenhändler nach. Dessen Antwort: «Die Gemeinde Lenk hat sich für Steine aus der Türkei entschieden.»
Tessiner wettert über Wahl der türkischen Steine
Marzio Maurino ist wütend: «Ausgerechnet aus der Türkei! Dort werden die Menschen unterdrückt und verfolgt, da herrscht sogar Kinderarbeit.» Er verkaufe seinen Qualitätsgranit weltweit, nach New York, Taipei, London, Mailand. «Auch in Interlaken habe ich zurzeit einen grossen Auftrag. Die sind doch nicht alle dumm.»
Die Gemeinde Lenk verteidigt ihre Entscheidung. «Beim türkischen Stein handelt es sich um das günstigste Angebot», sagt Gemeindepräsident Müller. «Ihr Preis lag bei 225'000 Franken, und sie bieten als Einzige fünf Jahre Liefergarantie. Der Maggia-Stein hätte uns 375'000 Franken gekostet – also 150'000 Franken mehr.»
Maurino kontert: «Ich hatte auch günstigeren Granit. Doch den hat die Gemeinde ja gar nicht in Betracht gezogen.» Und: «Wir geben 100 Jahre Garantie, wie die Gotthardbahn zeigt.» Dass der Tessiner Stein seinen Preis hat, liege an den hohen Personalkosten in der Schweiz und den Abgaben. Überhaupt: «Man kann doch nicht die Schweizer bluten lassen und dann die Ware im Ausland kaufen, nur weil sie dort billiger ist.» Simmentaler Fleisch sei schliesslich auch viermal teurer als Fleisch aus der Türkei.
Gemeinde muss wirtschaftlich denken
René Müller versteht die Aufregung nicht. «Es ist doch ganz klar, dass wir auch wirtschaftlich denken müssen», sagt der SVP-Politiker zu den Tessiner Vorwürfen. Laut seinem Lieferanten würden im Kanton Bern rund 75 Prozent der gelieferten Steine aus der Türkei stammen. Im Kanton Solothurn seien es rund 50 Prozent. In Zürich, dem Aargau, Luzern und Zug kämen 90 Prozent der Pflastersteine sogar aus China.
Mittlerweile wurden rund 300 Quadratmeter der türkischen Steine in Lenk verlegt. Marzio Maurino fuhr für einen Augenschein extra ins Berner Oberland. Sein Urteil: «Der Stein sieht langweilig aus! Wie schön hätte hier doch der Maggia-Stein gepasst.»