Wegen der anhaltenden Dürre bat Italien schon vor einer Woche um Wasser aus Schweizer Stauseen. Die Trockenheit macht sich nun auch im Schweizer Süden – im Tessin – bemerkbar. Und das nicht zu knapp.
Der Grundwasserpegel bewegt sich im Tessin nämlich auf rekordtiefem Niveau. Dem Amt für Gewässerschutz und Wasserversorgung zufolge sollen die Gemeinden um Locarno deshalb, ihre Wasserreservoirs kontrollieren. Denn das Trinkwasser dürfte in den kommenden Wochen knapp werden.
Grundwasserspiegel ist «nahe am Minimum»
Obwohl es im Juni mehrmals geregnet hat, kämpft der Südkanton noch immer mit den Folgen des trockenen Winters und Frühlings. In den Wintermonaten fielen nur etwa 20 Prozent der üblichen Regenmengen, im Frühling 40 Prozent des Mittels der Jahre 1991 bis 2020, wie Luca Panziera vom Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie (Meteoschweiz) auf Anfrage von Keystone-SDA sagte. Insgesamt habe die Messstation Lugano seit Anfang Jahr weniger als die Hälfte der Regenfälle des Vorjahres verzeichnet. Im Juni sei das Tessin bezüglich Niederschlag hingegen beinahe im Mittel.
Folglich sind auch die Grundwasserspiegel im Tessin sehr tief, wie Alessandro Toscani vom Tessiner Amt für Gewässerschutz und Wasserversorgung auf Anfrage erklärte. Die Daten dazu erhebt die Tessiner Fachhochschule Supsi. Gemäss Sebastian Pera, Mitarbeiter des Bereichs Hydrogeologie der Supsi, läuft das Monitoring noch nicht lange genug, um verlässliche Mittelwerte zu generieren. Aber so viel kann Pera sagen: Im Vergleich zu den letzten neun Jahren, in denen systematisch Zahlen erhoben wurden, würden sich die Grundwasserspiegel im Südkanton derzeit «nahe am Minimum» bewegen.
Wasserversorgungs-Experte Toscani rechnet denn auch damit, dass es im Laufe der Monate Juli bis September zu einem Engpass in der Trinkwasserversorgung kommen könnte. Deshalb hat seine Abteilung die Gemeinden in der Region Locarno aufgefordert, ihre Wasserreservoirs und Notwasserbrunnen zu kontrollieren und dem Kanton Vorschläge für Notfallszenarien zu unterbreiten. Wann genau es zu einem Engpass kommen könnte, kann Toscani nicht abschätzen.
Rekordverdächhtige Dürreperiode in Italien
Noch weniger Regen als im Tessin gab es in diesem Jahr in Norditalien. In den vergangenen Tagen bat der Präsident der Region Lombardei Attilio Fontana die Schweiz mehrfach um Hilfe im Kampf gegen die Trockenheit. Konkret soll das Tessin via den Lago Maggiore mehr Wasser in den Fluss Ticino, und damit später in den Fluss Po führen. Die Frage der Wasserspiegelregulierung des Lago Maggiore steht bereits seit längerem im Raum: Bis 2026 läuft zu diesem Thema eine Versuchsphase zwischen der Schweiz und Italien.
Grund für den Hilferuf aus dem Süden ist der vom Austrocknen bedrohte Po. Italienische Medien sprechen von einer Dürreperiode, die alle Rekorde der letzten 70 Jahre schlage. Inzwischen ist die Adria an der Flussmündung 30 Kilometer weit ins Flussbett vorgedrungen.
Trotzdem hat sich Italien bisher noch nicht offiziell an die Schweiz gewandt. Weder das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) noch das Bundesamt für Umwelt (Bafu) haben von Italien bis Donnerstagabend eine offizielle Anfrage bezüglich der Wasserregulierung im Tessin bekommen, wie beide Ämter auf Anfrage festhielten.
Wie das Radio und Fernsehen der italienischsprachigen Schweiz RSI berichtete, nahm am Rande eines Treffens der Regio Insubrica - einer Arbeitsgemeinschaft bestehend aus den norditalienischen Grenzregionen und des Tessins – Regierungsrat Norman Gobbi Stellung. Es müssten weiter flussabwärts Lösungen gefunden werden, hielt Gobbi fest, denn in den Schweizer Stauseen gebe es derzeit kaum Wasserreserven. «Wir befinden uns alle in einer ähnlichen Situation.» Auf Anfrage von Keystone-SDA bestätigte Gobbi seine gegenüber RSI gemachten Aussagen.
Stausee im Verzascatal gilt als Sorgenkind
In der Tat steht es um die Wassermengen in den Tessiner Stauseen nicht gut, wie Giovanni Bernasconi, Vorsteher der Abteilung Umwelt im Tessiner Bau- und Umweltdepartement auf Anfrage von Keystone-SDA sagte. Im Schnitt seien die künstlichen Becken derzeit gerade einmal zu 29 Prozent gefüllt.
Ein besonderes Sorgenkind unter den Stauseen war bis vor kurzem der Lago di Vogorno im Verzascatal. Der künstliche See, der zum Lago Maggiore hin von einer 220 Meter hohen Staumauer begrenzt wird, wurde im vergangenen Winter zum ersten Mal seit 56 Jahren vollständig entleert, um Sanierungsarbeiten durchzuführen.
Eigentlich hätten die Regenfälle eines «normalen» Frühlings den Stausee bis Ende April wieder füllen sollen, aber nach dem trockenen Frühling bewegt sich der Wasserspiegel erst bei rund 423 Metern über Meer, wie der Direktor der Verzasca SA Andrea Papina gegenüber Keystone-SDA sagte. Die maximale Seehöhe liege bei 470 Metern über Meer. «Der Wasserspiegel ist noch immer etwas tiefer als in anderen Jahren», resümierte Papina. Aber seit dem Frühling habe sich die Situation entspannt.
Den Wasserspiegel im Lago Maggiore anzuheben, um die Trockenheit in Norditalien zu bekämpfen, hält Bernasconi weder für eine sinnvolle noch für eine weitsichtige Lösung. Selbst wenn man einem Anheben des Seespiegels kurzfristig zustimmen würde, sei es utopisch, auf diese Weise Dürreperioden - die immer länger und immer häufiger würden – zu bekämpfen. (SDA/dzc)
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