Fiamma (5) leidet am seltenen Münchmeyer-Syndrom
Prinzessin aus Porzellan

Fiamma leidet unter dem seltenen Münchmeyer-Syndrom. Sie versteinert langsam zu einer lebenden Statue. Durch die kleinste Verletzung würde ihr Körper unkontrolliert Knochen nachbauen.
Publiziert: 09.05.2015 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 18:45 Uhr
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Die kleine Fiamma Bianchi spielt am liebsten mit ihren Barbie-Puppen.
Foto: Yvonne Leonardi
Von Myrte Müller

Fiamma (5) ist eine Prinzessin. Sie liebt es, in ihre Traumwelt einzutauchen und aus ihrer Spielzeugkiste Feen, Einhörner und verwunschene Schlösser hervorzuzaubern. Alle Sorgen sind in solchen Momenten vergessen. Leider nur für eine kurze Zeit. Fiamma Bianchi aus Biasca TI leidet an einer seltenen Krankheit, die sie ihr Leben lang begleiten wird.

Das Mädchen hat Fibrodysplasia ossificans progressiva (FOP), besser bekannt als das Münchmeyer-Syndrom. Es bedeutet: Sie versteinert, wie im Märchen, ganz langsam zu einer lebenden Statue. Vater Gianluca Bianchi (32) sagt: «Sie weiss, dass sie deswegen nicht herumtoben darf.» Eine kleine Verletzung, eine intramuskuläre Injektion oder nur schon Karies reichen, um den bösen Zauber auszulösen.

Überall, wo Muskeln oder anderes Binde- und Stützgewebe sich entzündet, baut der Körper unkontrolliert Knochen nach. Im Laufe des Lebens versteifen Hals, Arme, Brust, Bauch, Beine. Unter Umständen droht der Patient qualvoll zu ersticken.

Weltweit sind nur 600 Fälle bekannt, rein statistisch  dürften es aber 3250 sein. Nicht alle wissen von ihrer Krankheit. «Wir erfuhren es gleich nach der Geburt», erzählt der Vater. «Fiamma hatte nach innen gedrehte grosse Zehen und eine Beule am Kopf.» Zuerst wollen die Ärzte operieren. Dann stellen sie fest: Das Kind hat FOP. Es gebe keine Therapie, hören die Eltern am Uni-Spital Lausanne und erhalten nur einen Rat: Schaut nicht im Internet nach – es wird euch nur erschrecken!

«Das erste Jahr war ein einziger Albtraum. Die Zukunft erschien uns nur schwarz», sagt Mutter Doris (32). «Wir waren in Panik, verzweifelt.» Fiamma durfte auf keinen Fall stürzen, sich wehtun. Und sie durfte keine Süssigkeiten essen wegen der Karies. Das Kind hörte nur: «No!» Dann etwas Licht am Ende des Tunnels. «Wir hörten vom Test eines Medikaments in den USA, das FOP mildert», sagt Vater Bianchi. Aber es ist noch nicht marktreif, die Eltern suchen nach einer Alternative.

Die Zeit drängt. Noch hat Fiamma keine Anzeichen von Knochenwucher. Sie hat sich noch nie verletzt. In der Ergotherapie übt die Kleine, das Gleichgewicht zu halten. Sie fährt Trottinett, rennt, krabbelt die steilen Treppen des dreistöckigen Hauses rauf und runter. Aber egal, was sie macht: Sie darf nicht hinfallen. «Wir nennen sie darum unsere Prinzessin aus Porzellan», sagt der Vater.

In ihrer Not suchten die Eltern Kontakt zu anderen FOP-Patienten. «In Genua gibt es eine Organisation. Und auch ein Spital, das auf FOP spezialisiert ist», weiss Gianluca Bianchi.

In der Schweiz soll es sieben FOP-Patienten geben. Weil die Eltern die Namen nicht kennen, gründen sie im Juni 2014 den Verein «Noi ci siamo» («Wir sind da»). Er hat mittlerweile über 100 Mitglieder, die Geld für FOP-Forschungsprojekte sammeln. So entwirft etwa die Tessiner Fachhochschule Supsi mit Spendengeldern einen Dusch-Helm für Erkrankte, die ihre Arme nicht mehr anheben können. Auch eine Internetseite ist in Planung. Eine Benefiz-CD ist soeben erschienen.

Fiamma, der Name bedeutet Flamme, weiss, dass sie kein normales Mädchen ist. Die Krankheit ist immer bei ihr, in ihr. Doch die tapfere Kindergärtlerin fürchtet sich nicht: «Angst habe ich nur vor bösen Drachen.»

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