«Plötzlich kam eine braune Schlammwelle auf mich zugerast»
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Tessin im Unwetter-Chaos:«Mir kam eine Schlammwelle entgegen»

Erdrutsche, Schlammlawinen, Überflutungen – Tessin im Regen-Chaos
«Plötzlich kam eine braune Schlammwelle auf mich zugerast»

Das Wetter wird immer extremer. Nach monatelanger Trockenheit überrollt ein Unwettertief das Tessin und hinterlässt eine Spur der Verwüstung. BLICK traf die Betroffenen des Regen-Chaos.
Publiziert: 30.08.2020 um 20:06 Uhr
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Aktualisiert: 30.08.2020 um 21:50 Uhr
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Cosimo Lupi steht vor einem Haufen Schutt, der ihm die Schlammlawine vor die Garageneinfahrt schob.
Foto: Myrte Müller
Myrte Müller und Nicolas Lurati

Die Hiobsbotschaften vom Freitag machten Lisa Starnini (21) aus Montedato TI Angst. Heftige Niederschläge sorgten am Luganersee für einen Erdrutsch, der ein Haus mitriss. Weitere drei Gebäude wurden evakuiert. Die Polizei warnte jeden im Tessin: «Bleiben Sie im Haus!» Die Unwetter-Gefahrenstufe stieg auf 4, mancherorts gar auf 5.

«Wir haben unser Haus am Hang von Montedato vorsichtshalber verlassen und sind zur Tante gezogen», erzählt Lisa Starnini. Sogar die Katze hätten sie mitgenommen. In der Nacht auf Samstag schüttet es wieder, die Schäden in Montedato halten sich aber noch in Grenzen.

Erst am Samstagmittag bricht die Katastrophe los. «Eine Nachbarin rief uns aufgeregt an», erzählt die Touristik-Studentin weiter. «Sie hatte mit dem Handy gefilmt, wie ein ganzer Schlammstrom unsere Treppe zum Haus hinunterschoss.»

«Ich hatte grosse Angst, als die Schlammlawine auf mich zurollte»

Nur wenige Hundert Meter entfernt kommt gerade Patrizia De Liso (47) vom Einkaufen nach Hause. Sie wohnt am Hang oberhalb von Gordola TI, hat soeben ihr Auto abgestellt. «Da sah ich, wie mir eine 50 Zentimeter hohe braune Schlammlawine entgegenrast. Mit einem Briefkasten vorneweg, den sie irgendwo mitgerissen hatte», sagt die Hausfrau. «Ich traute mich nicht aus dem Auto auszusteigen. Ich hatte grosse Angst.»

Ehemann Giuseppe (56) zeigt, wie der Strom dann in die Gärten floss und sogar einen Pool füllte. «Wir haben hier immer wieder mal Steinschlag. Wer aber rechnet mit so was?» Auch Nachbar Cosimo Lupi (31) krempelt die Ärmel hoch. Die Schlammlawine hat Baumteile und Steine vor seine Garageneinfahrt geschoben. «Meine Mutter lebt seit 45 Jahren hier. So etwas hat sie noch nie gesehen», sagt der Marketing-Fachmann.

Ein August, der in die Geschichte eingeht

Ein weiterer Bach am Eingang des Ortsteils trägt Schutt und Holz ins Auffangbecken. Bis es überläuft. Dann schiesst das brackige Wasser darüber hinweg, reisst die halbe Strasse mit. Nicht nur am Hang wütet das Unwetter. Auch in der Magadino-Ebene schüttet es von Freitag bis Sonntagmittag wie aus Kübeln. Dort erreichen die Niederschläge bis zu 300 Millimeter, berichtet Meteo News. In den Tälern der Verzasca und der Lavizzara fallen sogar 350 Millimeter.

Bei der Messstation in Cevio TI sind in diesem Jahr knapp 900 Millimeter Regen gefallen. Fast die Hälfte davon fiel mit über 400 Millimetern in den vergangenen vier Wochen. Damit schreibt der August zumindest im Süden Geschichte.

Carlo Guidotti (68) ist schockiert, als er am Samstagabend von seinem Rustico im Verzascatal nach Gordola heimkehrt: «Im Untergeschoss hatte es 40 Zentimeter hoch Schlamm.» Wegen des Regens sei Wasser von einem Bächlein aufs Grundstück gelangt. Es habe Steine und Holz mitgerissen und sei über eine Aussentreppe durch die Tür ins Untergeschoss gelangt, erklärt Guidotti. Grotto, Weinkeller, Waschküche – alles versinkt in der brackigen Brühe. «Es ist ein Desaster», sagt Guidotti. «Ich schätze den Schaden auf etwa 50'000 Franken.»

«Erinnerungsstücke sind voller Schlamm»

Im Nachbarort Cugnasco TI steht das Haus von Maddalena Burgio (45). «Am Samstagmorgen regnete es in Strömen. Der Bach hinter dem Haus wurde immer grösser», sagt Burgio, «das Wasser drang durch die Eingangstür ins Erdgeschoss. Im Studio im Untergeschoss zerschlugen die Wasserkräfte das Fenster.» Die Gegenstände dort müsse man wohl wegwerfen, meint sie traurig. «Alle Erinnerungsstücke, die ich unten von den Kindern habe, sind voller Schlamm. Ich bin verzweifelt und weine nur noch.»

Die vollen Bäche tragen Schutt und Schlamm bis an die Seeufer. «Wir mussten sieben Häuser evakuieren lassen», sagt Tiziano Ponti (62). Um eines mache sich der Gemeindepräsident von Gambarogno TI besonders Sorgen: Es ist eine wunderschöne alte Villa direkt am Lago Maggiore. Der Bach hat das Fundament unterspült. Das Haus ist nicht mehr bewohnbar.

Während Feuerwehrmänner, Zivilschutz und Bauunternehmen mit Baggern Strassen freiräumen, Keller, Garagen und Wohnräume abpumpen, bricht der Himmel auf. Es ist Sonntagmittag, der Spuk vorbei. Und die Sonnenstube tut so, als könne sie kein Wässerchen trüben. Die Aussichten für die Woche: sonnig und warm.

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