«Ich hatte das Gefühl, das Virus saugt mich aus»
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Sie haben Corona überstanden:Betroffene erzählen, wie sie die Krankheit erlebt haben

Die Tessiner Jungunternehmerin Mariella Montano (30) steckte sich an der Fasnacht an
«Im Koma hörte ich Schreie von Wesen im Todeskampf»

Anfang März begann das Martyrium der Luganeserin Mariella Montano (30). Drei Monate brauchte sie, um wieder atmen zu lernen. Heute warnt sie: «Nehmt das Virus nicht auf die leichte Schulter.»
Publiziert: 07.08.2020 um 23:39 Uhr
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Aktualisiert: 09.08.2020 um 10:13 Uhr
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Mariella (30) war die jüngste intubierte Covid-19-Patientin im Tessin.
Foto: zVg
Myrte Müller

Anfangs regte sich Mariella Montano (30) noch über die Bilder auf: junge Leute, die am See und am Fluss dicht beieinander hocken, im Club tanzen oder in Gruppen einkaufen gehen. Ohne Maske, ohne Abstand.

«Da kochte in mir die Wut hoch», sagt Montano. «Ich empfand ihre Sorglosigkeit als einen persönlichen Affront.» Doch heute, so die junge Unternehmerin aus Breganzona TI, erkennt sie: «Die Menschen wissen nicht, was das Virus anrichten kann.»

Fataler Besuch beim Karneval

So ausgelassen wie die Touristen feierte einst auch Mariella Montano Ende Februar Karneval. Eine Woche später folgte die Lungenentzündung. Die Tessinerin machte zwei Corona-Tests: beide negativ. Auch die Lungenentzündung schien geheilt. «Dann ging es mir ganz komisch», erinnert sich Montano. «Ich hatte diesen widerlichen Geruch in der Nase. Erst dachte ich, draussen würde ein Bauer düngen. Doch der Geruch liess nicht nach. Er kam aus dem Inneren meines Körpers.»

Die Händlerin von Wellness- und Gesundheitsprodukten bekommt 40 Grad Fieber. Nach vier Tagen geht Mariella endlich ins Spital Moncucco. Zu Fuss. «Ich wollte niemanden anstecken.» Es ist der 17. März.

Der dritte Test ist positiv. Montano wird isoliert. Die Sauerstoffmaske stört: «Es fühlte sich an, als hätte ich einen Plastiksack um den Mund. Bei jedem Atemzug dachte ich, meine Lungen würden explodieren.»

Künstliches Koma, schreckliche Albträume

Mariella wird ins künstliche Koma versetzt. Mit damals 29 Jahren ist sie die jüngste Covid-19-Patientin im Tessin, die intubiert wird. Für acht Tage erlebt Mariella Montano die Hölle: «Ich hatte Halluzinationen.» Sie habe bunte Lichter gesehen und furchterregende Kreaturen. «Ich habe Schreie von terrorisierten Wesen im Todeskampf gehört. Manche dieser Visionen waren so klar, dass ich fest davon überzeugt war, sie seien real.» In einer Halluzination habe ein Arzt sie aufgefordert, ihre Schläuche aus dem Körper zu reissen.

Es ist im Morgengrauen, als Montano aus ihrem Inferno erwacht. Sie sieht überall Schläuche, kann nicht atmen. Es folgen Panikattacken. Zum ersten Mal hat sie auch Angst vor dem Tod. «Ich bin ein gläubiger Mensch. Ich habe in meiner Not gebetet. Das hat mich beruhigt.»

Eine Uhr, die nicht ticken will

Montano verspürt Durst. «Ich wollte trinken», so das Covid-19-Opfer. «Man gab mir einen getränkten Schwamm. Es war, als schluckte ich Nägel.» Sie kommt von der Intensivstation in ein dunkles Zimmer. Dort ist sie allein. Wie verlassen. «Da war eine grosse Uhr. Ich habe mich gefreut.» Denn: «So konnte ich sehen, wie die Zeit vorbeigeht. Aber das tat sie nicht. Sie schlich.» Aber: «Das Schlimmste war die Einsamkeit.»

Mariella Montano muss das Atmen wieder lernen. Es folgen drei Monate Physiotherapie. Noch heute, wenn es frisch wird, habe sie Atemnot. Corona habe ihr Leben verändert: «Heute geniesse ich jede Sekunde.» Mit Sorge verfolgt sie die neuen Infektionszahlen. Ihr dringender Appell: «Corona ist keine Grippe. Nehmt das Virus ernst. Haltet euch an die Regeln. Es trifft nicht nur Alte und Kranke. Ich war jung und hatte keine Vorerkrankungen. Es kann auch dich erwischen.»

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