Am 31. Dezember 2015 war Schluss. Laura (68) und Denis Camin (68) mussten das Elvetico in Camedo TI dichtmachen. Ihr Reich an der Grenze zu Italien bestand aus Tankstelle, Gaststube, einem kleinen Hotel und einem Tante-Emma-Laden.
55 Jahre lang stand Laura Camin hinter dem Tresen, bediente im Lädeli oder zapfte Benzin. Jeden Tag, von morgens 5.30 Uhr bis abends. «Auch an Weihnachten», sagt sie und blickt auf die verlassenen Gebäude: «Die ganze Schufterei hat uns nicht vor dem Aus bewahrt.» Das Geld fliesst nun ennet der Grenze, in Italien.
Die Schuld geben die Camins der Tourismuskrise, der modernen, seelenlosen Konkurrenz, dem Benzin-Krieg im Grenzgebiet – und natürlich dem teuren Franken. Der habe dem Elvetico den Todesstoss versetzt.
Das Ehepaar würde das Anwesen gerne verkaufen. Bloss an wen? «Hier im Centovalli läuft ja nichts mehr», sagt Laura Camin. «Meine Mutter würde sich im Grab umdrehen.»
Diese Mutter hiess Veglia Manfrina, war die Frau des Bahnhofvorstehers von Camedo und kaufte 1950 das Haus an der Hauptstrasse. Zur Zollstation sind es nur wenige Meter. «Sie eröffnete eine Gaststube und einen Laden», sagt Laura Camin, «für meine Mutter wurde ein Traum Wirklichkeit.»
Die ersten Kunden sind Italiener. Sie kaufen Kaffee, Zigaretten, Schokolade. Alles Waren, die in der Schweiz billiger sind. Damals. «Der Zucker wurde noch abgewogen. Eine schöne Zeit», schwärmt Laura Camin.
Auch das Restaurant boomt. Die Mutter baut aus: Neun Gästezimmer kommen hinzu, eine Tankstelle – und ein Schwiegersohn. Seit exakt 40 Jahren sind Laura und Denis Camin inzwischen verheiratet. Er hängte damals seinen Job als Landvermesser an den Nagel und stieg ins Familienunternehmen Elvetico ein, als Koch: «In den 70er-Jahren begann der Tourismus zu florieren. Auch die 80er liefen gut.» Die italienischen Grenzgänger machen halt und trinken auf dem Weg zur Arbeit im Elvetico ihren Espresso.
Abermals wird ausgebaut: Pool und Sonnenterrasse kommen dazu. Der Grenzverkehr rollt und mit ihm der Rubel. Aber nicht ewig. 1993 verschüttet ein Erdrutsch die Talstrasse. Sie bleibt zwei Jahre gesperrt, das Elvetico verkauft in dieser Zeit 95 Prozent weniger Benzin. «Von da an», sagt Denis Camin, «ging es nur noch bergab.»
Wegen des Schengen-Abkommens werden die Zöllner abgezogen und damit gute Kunden. Dann folgt der Benzin-Krieg mit Italien. «Um die heimischen Tankstellen vor der Schweizer Konkurrenz zu schützen», sagt Denis Camin, «verteilte Italien den Grenzgängern Gutscheine für italienisches Benzin.»
Dann bricht der Tourismus ein und der Frankenkurs steigt durchs Dach. «Seit vier Jahren kam kaum mehr einer», sagt Camin. «Nicht einmal mehr die Leute aus dem Ort. Sie essen lieber auf der italienischen Seite. Dort ist es viel günstiger.» Überhaupt sei alles anders geworden. Statt Gemütlichkeit wollten alle lieber Steh-Imbisse und grosse Tankstellen-Shops. «Wenn noch jemand bei uns hielt», sagt Camin, «dann nur, um unser WC zu benutzen.»