Die Fussgängerzone ist menschenleer. In den Restaurants bleiben Tische unbesetzt. Und auch am Grenzposten fliesst der Verkehr ruhig. Es ist Montag in Chiasso TI – ein Tag nach dem wohl drastischsten Entscheid, den ein italienischer Premier je für sein Land fällen musste.
In der Nacht auf Sonntag erklärte Giuseppe Conte (54) die Lombardei und 14 Provinzen in den Regionen Venetien, Piemont, Emilia-Romagna und Marche zum Corona-Sperrgebiet. Niemand soll die orangen Zonen verlassen. Insgesamt sind es in Italien 9172 Infektionen, die Zahl der Toten erhöhte sich auf 463, allein 333 davon in der Lombardei: Norditalien mutiert zum europäischen Wuhan.
Am späten Montag erklärte Conte das gesamte Staatsgebiet zur Quarantäne-Zone.
Das Tessin braucht die Grenzgänger aus dem Sperrgebiet
Die Grenzgänger aber dürfen in den Südkanton zur Arbeit fahren. Den Freipass hat Bern mit Rom ausgehandelt. Rund 70'000 Grenzgänger sind im Tessin tätig, über 3800 davon sind Ärzte und Krankenschwestern. Die braucht der Südkanton dringend. Bereits heute hat das Tessin mit 68 Corona-Fällen die meisten Infizierten in der Schweiz.
«Nur Pendler, die im Gesundheitswesen arbeiten, sollten einreisen dürfen», sagt Franco Denti, Präsident der kantonalen Ärztekammer, im Interview mit Libera TV. «Und die Tessiner Schulen sollten schliessen», sonst werde das Tessin bald zur Lombardei der Schweiz. Eine Massnahme, die am Montag getroffen wurde: Studierende und Lehrkräfte aus den italienischen Coronavirus-Sperrgebieten haben ab sofort und bis auf weiteres keinen Zugang mehr zu den Geländen der Tessiner Universität in Lugano und Mendrisio.
Die Apotheke mischt sich ihr eigenes Desinfektionsmittel
Ein Rentner (73) schaut sich in Chiasso grimmig den Grenzverkehr an. Er ist nur halb so dicht wie sonst. Viele Pendler bleiben in Quarantäne, versuchen von zu Hause aus zu arbeiten. Doch die, die kommen, werden an der Grenze nicht kontrolliert. «Das ist doch eine Katastrophe», schimpft der Mann. «Hier in Chiasso gibt es viele ältere Leute. Wer schützt uns vor dem Virus?»
In der Apotheke Del Corso herrscht Hochbetrieb. Im Hinterzimmer mischt sich Francesco Agustoni (54) sein eigenes Wässerchen gegen das Virus. «Wir bekommen keine Desinfektionsmittel mehr rein. Und die Kunden fragen danach. Jetzt machen wir sie selber.» Bedient wird nur mit Mundschutz. Die Kunden bleiben ohne. Denn Atemmasken hat Agustoni schon lange nicht mehr im Sortiment.
«Vielleicht ist die Grenze bald endgültig dicht»
Sonntag war für Matteo Celeste (52) vom Art Hotel Garni Centro in Chiasso kein Ruhetag. «Schon am frühen Morgen gingen die Reservierungen los», erzählt der gebürtige Italiener. «Grenzgänger und ihre Tessiner Arbeitgeber wollten Zimmer buchen. Sie hatten Angst, dass die Grenze schliesst.» Doch als Rom den Grenzverkehr für Pendler erlaubte, seien die Buchungen wieder storniert worden.
«Wer weiss, was morgen geschieht? Vielleicht werden bald die Grenzen endgültig dicht gemacht.» 18 Zimmer hat Celeste – für Grenzgänger, die dem italienischen Wuhan entfliehen wollen. Ratlos steht ein Paar aus Rumänien vor der Rezeption. «Wir sind aus Italien gekommen, dort gibt es keine Arbeit mehr», sagt Maurer Tachita Dorih (42). Doch auch im Tessin stünden die Baustellen still. «Jetzt kehren wir heim nach Bukarest», sagt der Rumäne. Im Auto. Durch das Wuhan von Italien.
Das Coronavirus beschäftigt aktuell die ganze Welt und täglich gibt es neue Entwicklungen. Alle aktuellen Informationen rund ums Thema gibt es im Coronavirus-Ticker.
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