BLICK-Fotografin Yvonne Leonardi (42) rettet Leben
«Ich musste einfach helfen!»

Auf dem Heimweg fährt BLICK-Fotografin Yvonne Leonardi (42) an einem schweren Unfall vorbei. Geistesgegenwärtig hilft sie den schwerverletzten Insassen, die ohne sie höchstwahrscheinlich verblutet wären.
Publiziert: 07.07.2015 um 20:50 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 23:35 Uhr
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BLICK-Fotografin Yvonne Leonardi (42) rettete bei einem Unfall in Mesocco Menschenleben.
Foto: Remy Steinegger (Fotos)
Von Myrte Müller (Text) und Remy Steinegger (Fotos)

Zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein – das Kapital einer Fotoreporterin. So war es am Sonntagnachmittag auf der A13.

Yvonne Leonardi (42) aus Roveredo GR kehrt von einer Reportage heim. Es ist kurz vor 15 Uhr, nahe Mesocco. Die BLICK-Fotografin fährt an einen Unfall und bremst ab: Ein silbergrauer Lexus und ein schwarzer Kia sind frontal kollidiert. Die Wagen – beide mit St. Galler Kennzeichen – sind bis zur Unkenntlichkeit eingedrückt, alle vier Insassen offenbar verletzt. Auf dem Asphalt liegen Scherben, Karrosserieteile, Gepäckstücke. Das Paar aus dem Kia (35 und 40) hat sich auf den Grünstreifen geschleppt. Polizei und Ambulanz sind noch nicht eingetroffen. Yvonne Leonardi schlüpft in eine gelbe Sicherheitsweste, schnappt sich ihre Nikon und rennt zur Unfallstelle. Doch statt Exklusiv-Bilder zu schiessen, rettet die vierfache Mutter Menschenleben.

«Auf dem Beifahrersitz des Lexus’ sass ein Mann», erzählt Leonardi. «Er hatte einen tiefen Schnitt am Hals, etwa zehn Zentimeter lang. Stossweise floss Blut aus der Wunde und lief über sein Hemd. Ich realisierte, dass der Mann stirbt, dass ich einfach helfen muss.» Die gebürtige Aargauerin reagiert. Sie drückt einem französischen Biker, der ebenfalls am Unfallort gehalten hat, ihre 9000-Franken-Kamera in die Hand und sagt: «Halten Sie bitte.»

Dann greift Leonardi nach einem Seidenschal, der aus einem der aufgeplatzten Koffer schaut. Sie wickelt ihn dem Verletzten um den Hals und drückt mit der Hand gegen die Wunde. Auf der Steuerseite sitzt die Ehefrau. Sie ist eingeklemmt, benommen und steht unter Schock. Leonardi: «Man muss mit den Verletzten sprechen. Das weiss ich aus dem Fernsehen. Also habe ich nach ihren Namen gefragt.»

Es sind Wolfram* (75) und Ruth M.* (69). «Ich bin bei Ihnen, Wolfram, atmen Sie», spricht Leonardi dem Verletzten gut zu. «Bleiben Sie bei mir.» Mit einer Hand drückt sie kräftig gegen die Wunde. Mit der anderen tastet sie nach der Hand der Frau, redet auf sie ein: «Ruth, alles ist in Ordnung.

Haben Sie Schmerzen? Spüren Sie Ihre Beine noch? Gleich kommt Hilfe. Halten Sie durch.»

Minuten später treffen Polizei, Feuerwehr und Ambulanzen ein. Zwei Rega-Helikopter sind aufgeboten. Die Fotografin bleibt in das Autowrack gebeugt und versucht verzweifelt, die Blutung zu stoppen. «Es schien mir wie eine Ewigkeit», sagt Yvonne Leonardi. Als die Sanitäter übernehmen, muss sie weiter assistieren. «Ich wurde angewiesen, ins Auto zu steigen, Wolframs Kopf zu halten und zu helfen, die Infusion zu setzen. Weil ich Schweizerdeutsch spreche, musste ich übersetzen.»

Wolfram M. wird nach Chur geflogen. Seine Halsschlagader ist angerissen. Ruth kommt mit der Ambulanz zuerst ins Spital Bellinzona, dann nach Lugano. Beide sind noch auf der Intensivstation, aber nicht mehr in Lebensgefahr. Auch das Paar aus dem Kia überlebt schwer verletzt.

Für die beherzte BLICK-Fotografin gibt es Lob. «Sie war eine grosse Hilfe», sagt Nives Grassi (46), Leiterin der Ambulanz Moesano GR. «Sie hat alles richtig gemacht und dem Unfallopfer das Leben gerettet.» Yvonne Leonardi aber zittern am nächsten Tag noch die Knie, «wenn ich nur daran denke».

* Name der Redaktion bekannt

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